Die Heilerin des Kaisers
wenig kalt, trotz des Sonnenscheins.
»Das ist ein Verbrecher, ein zum Tode verurteilter, mehrfacher Dieb und Räuber, der seit Jahren schon gesucht worden ist. Normalerweise wird so einem einfach der Kopf abgehackt. Aber aus Anlass des heutigen Festes haben wir Regensburger Bürger uns vom König die Gnade ausbedungen, mit dem Schurken noch ein wenig unseren Spaß zu haben.«
»Welchen Spaß denn?«, erkundigte Griseldis sich ängstlich, als sie in dem großen Eisenkäfig eine gewaltige Holzkiste gewahrte, aus der zorniges Gebrumm zu hören war. Drei der Männer hielten jetzt den Delinquenten nieder, während der vierte ihn mit einer zähflüssigen Masse beschmierte, die er mit vollen Händen aus einem Eimer holte.
»Er wird am ganzen Leib mit Honig bestrichen und dann lassen wir einen Bären auf ihn los. Hört Ihr den Petz nicht schon gierig brummen? Haha! Der darf ihn dann ablecken. Das ist ein Riesenspaß, glaubt mir! Vor allem, wenn der Kerl kitzlig sein sollte, hehe!«
Griseldis wurde beinahe übel, als sie von diesem grausamen Vorhaben hörte.
»Und was geschieht anschließend mit ihm? Ich meine, nachdem die Leute ihr Vergnügen hatten und der Bär wieder eingefangen ist: Wird der Mann begnadigt oder wollt Ihr ihm dann immer noch den Kopf abschlagen lassen?«
»Na, hört mal, Jungfer! Was denkt Ihr Euch denn überhaupt? Ihr scheint wirklich keine Ahnung zu haben.« Der gut gekleidete Bürger schüttelte missbilligend den Kopf.
»Wenn der Bär wieder in seine Kiste gesperrt wird«, gab ein anderer Zuschauer in geflicktem Wams und ausgefransten Hemdärmeln zur Antwort, »dann ist der Räuber zerfetzt und halb aufgefressen, das darfst du mir glauben! Der muss danach nicht mehr geköpft werden.«
»Nein!«, schrie Griseldis ganz unbedacht heraus. »Das dürft Ihr nicht machen. Das ist ja wie eine Hinrichtung, die Ihr da vornehmt. Und nur, um Euren Spaß zu haben? Was seid Ihr bloß für Ungeheuer?«
»Langsam, langsam, Jungfer! Überlegt Euch, was Ihr sagt«, rief jetzt ein Mann, dem Anschein nach einer der Stadtwächter.
»Aber das darf doch nicht sein! Das dulde ich einfach nicht. Ich werde zum König gehen und ihm sagen, was Ihr vorhabt.«
Griseldis war außer sich, aber sie erntete bloß rohes Gelächter und böse Blicke.
»Hab dich nicht so, du seltsame Person«, sagte der Wächter grimmig. »Unser Herr Heinrich weiß schon Bescheid und braucht deine Parteinahme für den Schuldigen ganz sicher nicht. Was regst du dich so auf? Das Schwein ist doch rechtmäßig zum Tode verurteilt – und da wirst du nichts daran ändern.«
Im Käfig hatte inzwischen die Tragödie ihren Lauf genommen. Das mit Honig beschmierte Opfer und ein gewaltiger Braunbär standen sich Auge in Auge gegenüber. Dann näherte sich das Raubtier und drängte den hilflosen Mann in die Käfigecke. Mit seiner langen, dunklen Zunge leckte das Tier hektisch über dessen nackten Körper.
Dieser lag nun zusammengekrümmt am Boden und versuchte sich zu schützen, indem er sich so klein wie möglich zusammenrollte. Der Bär stand mit weit geöffnetem Rachen über ihm, so dass jeder sein furchtbares Gebiss sehen konnte. Dann rollte er mit einer seiner Tatzen den Mann auf den Rücken, als wäre dieser eine Puppe.
Griseldis brach in Tränen aus, als sie mitansehen musste, wie sich das Tier, übersättigt von der klebrigen Süßigkeit, in den Bauch des Räubers verbiss.
Der Delinquent schrie qualvoll, erntete jedoch nur Hohn, Spott und Flüche. Sie war in der Menge eingekeilt und wurde Zeugin, wie der Bär mit den langen Krallen seiner mächtigen Vorderpranken den Leib seines Opfers aufschlitzte, so dass dessen Gedärm hervorquoll.
»Gemeine Verbrecher seid Ihr allesamt! Man sollte das Gleiche mit Euch machen«, schrie Griseldis unbeherrscht. Der Mann im Eisenkäfig brüllte jetzt in Todesqual. »Ekelhafte Tiere seid Ihr allesamt, aber keine Christenmenschen!«, setzte sie nach.
»Jetzt reicht’s aber, du saudummes Luder«, brummte ihr Nachbar zornig, packte sie derb am Hals und schüttelte sie grob hin und her.
»Schmeißt doch die Dirne zu dem Bären dazu«, grölte einer und ein ärmlich aussehendes Weib mit ungekämmten Haaren kreischte: »Jawohl, in den Käfig mit der Hure! Zieht sie aus und tunkt die Spaßverderberin in den Honigkübel. Mal schauen, wen der Bär dann lieber hat!«
Es gab lauten Beifall und etliche der entfesselten Zuschauer schienen geneigt, dem aufgeputschten Volkswillen zu willfahren. Schon griffen schmutzige
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