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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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Tinkturen arrangierte sie sorgfältig auf mehreren, an der Wand befestigten Regalbrettern.
    In kürzester Zeit war sie eingerichtet. Sie setzte sich auf den einzigen Hocker, der an dem kleinen Tisch stand, und betrachtete ihr Reich mit leuchtenden Augen. Noch nie hatte sie ein Zimmer für sich alleine gehabt, nicht einmal ein eigenes Bett. Jahrelang hatte sie sich den Strohsack mit Dietwulf geteilt und als das jüngste Geschwisterchen zwei Jahre alt war, hatte sie mit Gertrud in einem Bett gelegen.
    An der Wand hing ein schlichtes Kreuz, gefertigt aus zwei übereinander gelegten, schwarz-weißen Birkenästen. Der Corpus des Heilands fehlte allerdings. Auf ihrem Weg durch die Residenz hatte sie eine ganze Reihe von bunten Heiligenbildern und -figuren sowie Kreuze in allen Größen und verschiedenen Materialien gesehen.
    ›Daheim haben wir in der Stube ein geschnitztes Bild von Maria hängen; aber in der letzten Zeit hat die Mutter den Blumenschmuck für die Gottesmutter immer vergessen‹, fiel Griseldis ein und beim Gedanken an die geistig verwirrte und ins Heidentum zurückgefallene Dietlinde füllten sich ihre Augen mit Tränen.
    Dann aber räusperte sie sich und straffte den Rücken. Sie war kein kleines Mädchen mehr, das nach Belieben seinem Schmerz freien Lauf lassen durfte.
    Endlich gestattete sie es sich, einzig an den Menschen zu denken, dem sie in Zukunft dienen würde mit all ihrer Kraft und ihrem gesamten Wissen. ›Der liebe GOTT möge mir helfen bei dieser schweren Aufgabe‹, betete sie inbrünstig.
    Es war ihr etwas bange vor der großen Verantwortung, die sie nun trug: Ein König war etwas anderes als ein Bauer aus dem Dorf, oder? Aber dann fiel ihr Heinrichs schmerzverzerrtes Gesicht wieder ein. Und sie erkannte, dass in Krankheit und Leiden alle Menschen gleich waren. Jeder konnte Schmerzen empfinden und sehnte sich danach, sie loszuwerden – ganz egal ob Bauer oder Edelmann.
    Die Vorstellung, dass sie in Kürze in der Nähe des Herrschers leben sollte, ihn womöglich täglich sehen würde, machte sie leicht schwindelig. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Er war so ein schöner Herr… Und seine Gemahlin, die er so sehr liebte, war die herrlichste Frau auf GOTTES Erdboden. Sie nahm sich vor, Heinrichs Eheweib Kunigunde stets zu achten und zu lieben als Königin und Mutter des Reiches.
    Über Griseldis’ Lager mit dem prall gefüllten Strohsack und einem kleinen Federkissen lag eine hübsche bunt gewebte Decke mit orientalischem Muster. So etwas Wunderbares hatte sie bisher nur einmal gesehen, und zwar im Haus des reichen Kaufmanns Moritz.
    Griseldis seufzte. Es gab noch so vieles, das sie nicht kannte. Aber sie war ja noch jung, gerade einmal einundzwanzig Jahre alt.
     
     

KAPITEL 13
     
    H OCH GESTIMMT STREIFTE Griseldis durch die vor dem mächtigen Dom in kürzester Zeit entstandene Zelt-und Budenstadt. Was gab es da nicht alles zu bestaunen!
    Da waren Stände mit wollenen Gewändern und feinem ledernem Schuhwerk, mit Geschirr aus Steinzeug und Schüsseln aus Ahornholz, mit gestrickten Mützen und Strümpfen, gewebten Decken, mit allerlei Obst, Zucker-und Salzgebäck und mancherlei Süßigkeiten.
    Griseldis vermochte der duftenden Verlockung nicht zu widerstehen und opferte einen halben Pfennig von ihrem ersparten Geld; es blieb ihr ja auch noch die kleine Summe, die Frowein ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. Sie entschied sich für einen der braunen Lebzelten, die so verführerisch rochen und überdies hübsch mit einem weißen Muster aus Zuckerguss verziert waren.
    Vorsichtig biss sie ein winziges Stück von dem nach Zimt und Honig riechenden Backwerk ab und verdrehte vor Wohlbehagen die Augen: »Mmmh«, machte sie genießerisch. Dabei fiel ihr Blick auf ein Grüppchen offenbar bitterarmer, magerer Kinder, die sie mit großen Augen hungrig anstarrten.
    Den Lumpen nach, die sie am Leibe trugen, konnten ihre Eltern – so sie denn überhaupt welche hatten – es sich nicht leisten, ihnen derlei Genüsse zu ermöglichen. Ohne lange zu überlegen drückte Griseldis dem größten Kind, einem etwa zehnjährigen Mädchen, ihren angebissenen Honigkuchen in die Hand.
    »Aber du musst mit den anderen teilen«, sagte sie.
    Das barfüßige Ding griff blitzschnell zu und zerpflückte geschickt, ohne eine Miene zu verziehen, das Gebäck mit dreckigen Fingern. Griseldis sah genau, dass für das zerlumpte Mädchen selbst nur der kleinste Teil übrig geblieben war. Die

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