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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ihrer
Mitgefangenen geteilt hätte. Zwar war es den Janitscharen –
die einen Großteil der Armee stellten – untersagt, sich
mit Frauen zu vergnügen; aber für die Provinztruppen galt
dieses Verbot nicht. Etwas milder gestimmt nahm sie der zitternden
jungen Frau den Kelch ab und schenkte ihr ein dünnes Lächeln.
Schon nach dem ersten Schluck spürte sie, wie sich ihr Körper
entspannte. Wenn es ihr jetzt noch gelang, ihren Geist in einen
stumpferen Zustand zu überführen, würden sich die
Ängste dorthin zurückziehen, wo sie hingehörten.
Sicherlich würde Bayezid bald erkennen, wie fruchtlos es war,
den Despoten der Morea zu jagen. Und dann würden sie nach Bursa
zurückkehren, wo sich die Tabibe darum kümmern konnte,
dass sie das Kind in ihrem Bauch nicht verlor! Dankbar darum, dass
Bayezids neue Enthaltsamkeit nicht so weit ging, dass er auch von ihr
Mäßigung verlangte, nahm sie einen weiteren Schluck des
schweren Rotweins und träumte sich an einen Ort, der ihrer
Heimat ähnlich war. Bald, dachte sie benebelt und legte die Hand
auf ihren Unterleib. Bald würde ihr Plan Früchte tragen!

Kapitel 39
     
    Bursa,
Hochsommer 1400
     
    »Lass
sie!« Die Stimme des alten Lehrers war ruhig, aber bestimmt.
Aus den Gedanken gerissen, blickte Sapphira von ihrer Wachstafel auf
und kräuselte die Lippen, als sie den Stein des Anstoßes
erblickte. Sichtlich verschreckt von all der Aufmerksamkeit, duckte
sich eine etwa zwei Zoll messende Spinne in den Schatten einer
Topfpflanze und stellte sich tot. Eine ihrer Mitschülerinnen war
mit einem spitzen Schrei aufgesprungen und hatte die Schreibgeräte
fallen lassen, sodass ihre Utensilien über den ganzen Boden
verteilt waren. Ein anderes Mädchen machte Anstalten, die Spinne
zu zertreten, wurde jedoch von dem Eunuchen mit einem sanften Griff
am Arm zurückgehalten. »Spinnen sind heilige Tiere«,
erklärte er, angelte sich ein kleines Gefäß und
stülpte es über den erstarrten Achtbeiner. Dann schob er
ein Stückchen zerfasertes Papier darunter, hob beides vom Boden
auf und warf die Spinne durch das geöffnete Fenster in den
darunter liegenden Garten. »Habt ihr das denn noch nicht im
Koranunterricht gelernt?« Ein Großteil der Mädchen
schüttelte den Kopf, da sie wie Sapphira selbst noch mitten in
der Erschaffung der Welt, dem Paradies und dem nahenden Endgericht
steckten. Dieses, so hatte der Koranlehrer düster prophezeit,
würde durch ein großes Feuer, ein Erdbeben oder das
Verblassen der Sonne eingeleitet – und wenngleich die junge
Frau nicht daran glaubte, hatte sie sich schon oft dabei ertappt, wie
sie bange zum Himmel geschielt hatte. Verkündete die Bibel nicht
Ähnliches? »Dann wird es Zeit, dass ihr diese Geschichte
hört«, beschied der Eunuch und stellte das Gefäß
zurück an seinen Platz. Froh über eine Unterbrechung,
ließen sich die Mädchen wieder auf den Kissen nieder und
blickten ihren Lehrer erwartungsvoll an.
        »Es
geschah zu der Zeit, als der Prophet aus seiner Heimatstadt Mekka
fliehen musste«, hub der Eunuch an und senkte bedeutungsvoll
die Stimme. »Damals hatten seine Feinde beschlossen, dass aus
jeder Sippe ein Mann an dem geplanten Mordanschlag an Muhammad
beteiligt sein sollte. So würde es nicht zu einer Fehde zwischen
der Sippe des Propheten und der Sippe des Mörders kommen.«
Wider Willen interessiert, legte Sapphira ihren Griffel beiseite und
beugte sich vor, um den Eunuchen besser hören zu können.
»Da sie wussten, dass der Prophet sich immer zur gleichen
Stunde in die Moschee begab, lauerten sie ihm auf, um ihn beim
Verlassen des Gebäudes zu erschlagen. Aber als Muhammad
aus der Moschee trat, da verhüllte Allah den Blick der Mörder,
und er konnte unversehrt entkommen.« Der Lehrer hob die Hände
an die Augen, um seine Geschichte zu untermalen. »Dann floh der
Prophet mit einem Gefährten aus der Stadt und fand eine Höhle
im Gebirge, in der sie sich verbergen konnten. Drei Nächte
verbrachte er in der Höhle. Als schließlich die Verfolger
dort ankamen, da hatte eine Spinne ihr Netz vor dem Eingang gewoben,
und wilde Tauben hatten ihre Nester dort gebaut.« Er machte
eine bedeutungsvolle Pause. »Deshalb sahen die Verfolger davon
ab, die Höhle zu durchsuchen und der Prophet konnte unversehrt
entkommen.« Er lächelte zufrieden, als ob er etwas mit der
Rettung zu tun gehabt hätte. »Und daher, meine Lieben,
darf kein Gläubiger einer Spinne ein Leid zufügen.«
Die plötzlich einsetzende Stille wurde von

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