Die Heilerin des Sultans
aufgebrachten
Männerstimmen durchschnitten. Irgendwo in den Gängen
hallten Tritte, die sich erst zu entfernen, dann zu nähern
schienen. »Achtet nicht darauf«, bemerkte der Eunuch mit
einem Stirnrunzeln und nickte einem Mädchen zu, das die Hand zu
einer Frage gehoben hatte. Die junge Frau wollte gerade den Mund
öffnen, als unvermittelt die Tür aufgerissen wurde und ein
Knäuel Wachen hereinstürmte.
Einen
Moment lang herrschte verwirrtes Durcheinander, dann drang der
Anführer mit finsterem Blick in den Raum vor und befahl barsch
und ohne Vorrede: »Seht mich an! Ich suche eine schwarze
Sklavin.« Gelähmtes Schweigen schlug ihm entgegen. Aus der
Geschichte des Eunuchen gerissen, zogen die Mädchen verstört
die Köpfe ein, als die Bewaffneten einen drohenden Halbkreis um
sie bildeten. Nach einigen Sekunden der Anspannung kämpfte sich
schließlich eine der alten Aufseherinnen der Dormitorien, die
im Hintergrund gelauert haben musste, nach vorn und schüttelte
den Kopf. »Hier ist sie nicht.« Furcht stieg wie Galle in
Sapphiras Kehle auf, als ihr Blick auf die Hand der Alten fiel. Wie
die Klauen eines Raubvogels umklammerten die knotigen Finger ein
weißes Stück Filz, das die junge Frau erschrocken als eine Börk – eine Janitscharenmütze – erkannte. Gülbahar! Ihr Atem
stockte. Hatte die Freundin nicht beteuert, das verräterische
Liebespfand an einem Ort versteckt zu haben, wo es niemals jemand
finden würde? »Du«, fuhr der alte Drache Sapphira
an. »Wo ist sie? Ihr seid doch sonst immer zusammen.« Da
sie plötzlich alle anstarrten, schoss der jungen Frau das Blut
in die Wangen und sie senkte hastig den Kopf. Was sollte sie tun?
Wenn sie schwieg, machte sie sich verdächtiger als sie ohnehin
schon sein musste. Denn nicht nur die Hüterin würde
annehmen, dass sie mit der Freundin unter einer Decke steckte! Wenn
der heimliche Lauscher sie in der Nacht hinter den Dormitorien
erkannt hatte, dann war es auch um Sapphira geschehen. Da es nur eine
Frage der Zeit war, bis die Wachen Gülbahar bei der Valide fanden, nutzte ihr Schweigen
so oder so niemandem. »Sie hat heute Tanzunterricht«,
erwiderte sie daher tonlos und starrte auf den Saum ihrer Entari. »Bei der Valide «,
setzte eine ihrer Mitschülerinnen hinzu – offenbar in der
irrigen Annahme, dass diese Information die Wachen aufhalten würde.
Obwohl der Alten bei der Erwähnung der Sultansmutter die Farbe
aus dem Gesicht wich, spuckte sie bissig aus: »Das trifft sich
gut. Dann kann sie gleich ihrer gerechten Strafe zugeführt
werden!« Mit diesen Worten wies sie die Bewaffneten an, ihr zu
folgen und stürmte auf die Zimmerflucht der Valide zu, aus der kurz darauf
schrille Stimmen in den Gang drangen. Während das Geschrei erst
anschwoll und dann abrupt abgeschnitten wurde, breitete sich ein
hohles Gefühl in Sapphira aus. Sie musste der Freundin helfen!
Auch wenn die Furcht um ihr eigenes Leben ihr die Luft zum Atmen
abschnürte, konnte sie nicht zulassen, dass Gülbahar die
grausame Strafe traf, welche die Gesetze des Harems für ein derartiges
Vergehen vorsahen. Ein Zittern breitete sich in ihrem Körper
aus, als sie sich vorstellte, wie es sein musste, in einen Sack
eingenäht zur Küste geschleift und lebendig ins Marmarameer
geworfen zu werden. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen,
traf sie ohne Vorwarnung.
Mit
einem gepressten Laut schlug sie die Hand vor den Mund und kam
taumelnd auf die Beine. »Entschuldigt«, stammelte sie und
rannte wie von Furien gehetzt aus dem Zimmer, um sich irgendwo zu
verbergen, wo sie niemand finden konnte. Am ganzen Leib bebend,
verbarg sie sich in der Wäschekammer, die ihr schon mal als
Versteck gedient hatte, und rang die Übelkeit nieder. Während
sie der Geruch frisch gewaschenen Leinens einhüllte, zermarterte
sie sich das Gehirn, wie sie die Freundin vor dem sicheren Tod
bewahren konnte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich weiter, als sich
nagende Reue zu ihrer Furcht gesellte. Sie musste sich
zusammennehmen! Um zu verhindern, dass ihre Zähne aufeinander
schlugen, presste sie die Kiefer zusammen und atmete tief und bewusst
durch die Nase. Auf keinen Fall durfte sie den Fehler wiederholen,
den sie bei Bülbül gemacht hatte, und sich feige
verkriechen. Ärger keimte in ihr auf, als ein schrecklicher
Verdacht die Panik verdrängte. War auch dieser hinterhältige
Streich die Tat einer Verräterin? War Gülbahar ebenfalls
das Opfer der Intrige geworden, die beinahe auch Sapphira selbst
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