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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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zählte es zwar nicht
zu seinen Pflichten, sich um solche Nichtigkeiten zu kümmern,
aber da der Besitz ansonsten in bester Ordnung war, war er auch heute
vor der bedrückenden Enge des halb leeren Hauses geflohen.
Beinahe einen ganzen Tag befand er sich schon vor der Stadtmauer –
umgeben von Bauern, Knechten, Hirten und drei Dutzend Pferden. Seit
Stunden witterten die Tiere das bevorstehende Unwetter, und
vielleicht war es an der Zeit, dass Lutz die Warnung ernst nahm.
Ergeben reckte er die knackenden Schultern und stieß einen
Pfiff durch die Zähne aus. Als die vier Stallburschen, denen der
Befehl gegolten hatte, herangestoben kamen, sagte er: »Treibt
die Stuten zusammen und bringt sie in die Ställe. Ich komme mit
den Hengsten nach.« Auf keinen Fall würde er die kostbaren
Tiere der Gefahr aussetzen, vom Blitz erschlagen zu werden. Das war
er Falk schuldig.
        Einen
der Knechte beauftragte er damit, den Heuwagen ins Trockene zu
schaffen, und als in der Ferne Donner grollte, streifte er dem
letzten der fünf Hengste das Halfter über die Nase. Dann
koppelte er die nervös schnaubenden Schimmel und Rappen zusammen
und schwang sich ohne Sattel auf den Rücken des Leittieres.
Sobald der erste Blitz über den Himmel zuckte, gab der
ängstliche Vierjährige in der Hinterhand nach, aber Lutz
gelang es ohne Mühe, ihn einzufangen und auf das Stadttor
zuzutreiben. »Ihr solltet Euch besser beeilen!«, riet ihm
der alte Wachmann, mit dem er schon oft einen Scherz gewechselt
hatte. »Nicht mehr lange, dann öffnet der Herrgott alle
Schleusen.« »Zeit wird es ja«, erwiderte Lutz und
trabte in Richtung Münsterplatz, wo hektisches Hin und Her
darauf hindeutete, dass auch der Werkmeister den Befehl gegeben
hatte, den Baubetrieb für heute einzustellen. Wie um ihm recht
zu geben, klatschten kurze Zeit später die ersten dicken Tropfen
auf den staubigen Boden, und noch bevor Lutz die Baustelle umrundet
hatte, kam ein heftiger Wind auf. Wie unsichtbare Finger griffen die
Böen nach Kleidern und Haaren, erfassten herumliegende Blätter
und Fetzen und wirbelten diese wild durch die Luft. Beruhigende Worte
murmelnd tätschelte er seinem Reittier den Hals und schnalzte
erleichtert mit der Zunge, als das Hoftor seines Zuhauses vor ihm
auftauchte. Fast alle Tiere waren bereits im Stall verschwunden.
Lediglich der schmächtigste der vier Burschen kämpfte noch
mit einer kapriziösen Fuchsstute, die Lutz schon mehr als einmal
gebissen hatte. »Hilf ihm Jak«, rief er einem baumstarken
Knecht zu, der daraufhin zwei schwere Säcke absetzte und dem
Jungen das Halfter aus der Hand pflückte. »Du kannst das
Futter verteilen«, sagte er an den Knaben gewandt und glitt vom
Rücken seines Rappen. »Ruhig«, raunte er dem Tier
ins Ohr und streichelte ihm die weiche Nase. Auch die Augen der
anderen Hengste waren inzwischen weit aufgerissen. Dem Stampfen der
Hufe war zu entnehmen, dass es allerhöchste Zeit war, sie im
Stall in Sicherheit zu bringen. Da die Tropfen inzwischen dichter
fielen und sich der durchdringende Geruch heiß-feuchter Erde
verbreitete, fasste Lutz das Halfter des Leittieres nach und
bugsierte die Hengste unter einigen Schwierigkeiten in die
Boxengasse. Dort winkte er drei Helfer herbei und deutete mit dem
Kinn auf einen Ballen Stroh. »Reibt sie ab und kratzt ihnen die
Hufe aus. Mähnen und Schweife können warten.« Ein
weiterer Donnerschlag ließ die Wände erzittern. Mit einem
Wiehern wollte einer der Rappen steigen, aber der Stalljunge hielt
ihn mit einem harten Griff davon ab.
        Anerkennend
klopfte Lutz dem Knaben auf die Schulter und wollte gerade
kehrtmachen, um im Stutenstall nach dem Rechten zu sehen, als sein
Blick auf einen eleganten Apfelschimmel fiel, der ungerührt Heu
aus einer Krippe zupfte. »Wo kommt der denn her?«, fragte
er verdutzt und trat näher an die Box, um das Tier in
Augenschein zu nehmen. Sowohl das silberne Zaumzeug als auch der fein
gearbeitete Sattel des Reiters hingen an einem Balken zu seiner
Rechten. Stirnrunzelnd ließ er die Fingerkuppen über das
weiche Leder gleiten, während ein leises Stechen in seiner
Schläfe einsetzte. »Ihr habt einen Gast«, sprach Jak
das aus, was Lutz bereits ahnte. Achselzuckend klopfte der hünenhafte
Knecht sich den Schmutz aus der Hose und zeigte in Richtung
Haupthaus. »Irgendein reicher Wichtigtuer«, setzte er
naserümpfend hinzu und tat Lutz’ tadelnden Blick mit einem
schiefen Feixen ab. »Hat er gesagt, was er hier

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