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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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der
Überfall geplant war und Otto sich vorher in Sicherheit gebracht
hatte? Er schluckte schwer. Konnte es möglich sein, dass sein
Onkel ihn kalt lächelnd verkauft hatte? Lutz’ mahnende
Worte und der Vorfall im Gebirge fielen ihm wieder ein. Aber bevor er
sich weiter mit diesen Überlegungen quälen konnte, ließ
ihn ein gellender Schrei zusammenfahren. Am Ende der hölzernen
Planke hatte sich einer der Männer trotz seiner Fesseln
losgerissen und war ins Wasser gesprungen, wo er wie ein Stück
Blei versank. »Verdammt!« Mit einer flüssigen
Bewegung riss der Kapitän einem seiner Untergebenen die Armbrust
aus der Hand und legte höchstpersönlich auf den Venezianer
an. »Das könnt ihr auch haben!«, brüllte er die
übrigen Gefangenen mit hochrotem Kopf an, nachdem er sich
versichert hatte, dass sein Schuss ins Schwarze getroffen hatte.
»Denkt nicht, dass ich auch nur einen einzigen Augenblick
zögere, nur weil ich euch verkaufen will.« Seine Stimme
war heiser vor Ärger. »Vorwärts!«, donnerte er
und versetzte dem Gefangenen, der ihm am nächsten war, einen
derben Hieb in den Rücken. Trotz der erbarmungslosen Hitze lief
ein Zittern durch Falks Körper, als ihm klar wurde, dass auch
sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war. Er schluckte die
Bitterkeit in seiner Kehle. Was nutzte es ihm, dass der Kapitän
ihn mit Gold aufwiegen konnte?
        Um
sich von den eigenen Gedanken abzulenken, schielte er auf den
Jüngsten in ihrer Mitte, der seit dem schrecklichen Vorfall in
einen lethargischen Zustand verfallen war. Stumpf und leer blickten
die grauen Augen stets auf einen Punkt in der Ferne, den außer
ihm niemand zu sehen vermochte. Die anderen Knaben hatten sich immer
wieder bemüht, ihn zum Sprechen zu bringen, aber das tiefe
Schweigen, in das er sich seit der furchtbaren Nacht hüllte,
konnte niemand durchbrechen. Falk hob die Hand, um sich den Schweiß
von der Stirn zu wischen. Ob es ihm und den anderen genauso ergehen
würde? Oder harrte ihrer noch Schrecklicheres? Unsicher legte er
die Fingerspitzen auf das Kreuz an seinem Hals, da er inzwischen
fürchtete, dass Gott ihn aufgegeben hatte. Wie sollte er es sich
sonst erklären, dass kein einziges seiner Gebete erhört
worden war? Und gebetet hatte er! Beinahe ununterbrochen hatte er die
erste Zeit nach der Gefangennahme neben Antonio gekniet und gemeinsam
mit dem Venezianer um Erlösung gefleht. Doch schon bald war die
Erkenntnis zu ihm durchgesickert, dass er überhaupt keine
Erlösung verdient hatte. Vermutlich war diese Diesseitsstrafe
erst der Vorgeschmack darauf, was ihn im Jenseits erwarten würde.
Wie immer, wenn er sich mit solchen Überlegungen marterte,
reckten die niedergetrampelten Überreste seiner Zuversicht ihr
Haupt. Was, wenn Gott ihn nicht nur für seinen Hochmut
bestrafen, sondern ihm mit dieser Prüfung die Gelegenheit geben
wollte, sich reinzuwaschen und die Stärke seines Glaubens unter
Beweis zu stellen? Was, wenn es ihm erging wie Josef in Ägypten?
War dieser nicht auch in eine ähnliche Lage geraten, aus der ihn
der Allmächtige stark und weise hatte hervorgehen lassen? Er
rieb sich die pochenden Schläfen.
        Die
Ankunft einer Gruppe Osmanen lenkte seine Aufmerksamkeit zurück
auf das Geschehen um ihn herum. Begleitet von mehreren schwer
bewaffneten Soldaten und dem Anführer der Seeräuber, betrat
ein hochgewachsener Mann das Schiff, als ob es sein Eigentum wäre.
Seine hohe Stirn zierte ein silbernes Band, das eine seltsame, weiße
Mütze umschloss, die schlaff bis auf seinen Rücken
hinabfiel. Ein schmaler Oberlippenbart unterstrich die harte Linie
seines Mundes, und ein Blick in die mitleidslosen Augen ließ
Falk wünschen, an Bord der Kogge bleiben zu können.
Gekleidet war der Neuankömmling in feuriges Rot, das lediglich
von den blauen Ärmeln eines Untergewandes aufgelockert wurde.
Wie seine Begleiter hielt auch er eine hässliche, kurze Peitsche
in der Hand, mit der er in diesem Moment auf die versammelten Knaben
zeigte. Das wilde Gestikulieren des Piraten ließ darauf
schließen, dass sich die Männer über irgendetwas
uneinig waren – ein Eindruck, der unterstrichen wurde, als der
vornehme Türke auf die Jungen zusteuerte. Ehrfürchtig
machten die Seeleute ihm den Weg frei, und er durchmaß mit
wenigen Schritten die Entfernung. Bei den Knaben angekommen,
schnappte er sich den erstbesten Burschen und befahl ihm auf
Lateinisch, das Hemd auszuziehen. Da dieser dem Befehl nicht sofort
Folge leistete, versetzte

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