Die Heilerin des Sultans
von Suden, Tränken und Salben als auch die
Harnschau stellten inzwischen keine Geheimnisse mehr dar. Und auch
die Beklemmung im Angesicht von Blut und Schmerz hatte sich im Laufe
der Zeit gelegt. Mit geschickten Bewegungen wechselte sie Verbände,
kühlte Fiebernden die Waden und ließ einige Frauen zur
Ader. Sie war gerade dabei, sich um den Hautausschlag einer
vierjährigen Prinzessin zu kümmern, als die Tabibe sie unerwartet zu sich rief.
»Komm mit in die Apotheke«, bat sie und reichte Sapphira
ein eisernes Instrument, das geformt war wie die Hörner einer
Kuh. »Zwei der Janitscharen haben sich im Kampf die Knochen
gebrochen und der Hekim hat
einen von ihnen fast umgebracht«, erklärte sie nüchtern
und eilte voran in das Arzneilager, in dem auch die ärztlichen
Instrumente aufbewahrt wurden. Dort angekommen, öffnete sie die
Tür eines Schränkchens und ließ den Blick über
die blitzenden Messer, Schröpfköpfe, Skalpelle und
Pinzetten wandern. In einer Schublade ruhten Haken, Sägen,
Feilen und Meißel, mehrere Starnadeln, Brenneisen und Katheter
für die Blase. Doch es waren die Knochenzange und ein zweiter
hornförmiger Knochenheber, nach denen sie griff. »Wir
brauchen Mandragora«, sagte sie, und Sapphira angelte die
Flasche mit dem betäubenden Trank von einem Regal. »Zehn
Tropfen auf einem Schlafschwamm sollten genügen.« Sapphira
nickte und stopfte auch eine Handvoll kleiner Schwämme in die
Tasche ihrer Entari. Die
Ärztin dachte einen Augenblick nach, bevor sie ihrer Schülerin
ein ledernes Beutelchen entgegenhielt. »Etwas von dem
Memphitischen Stein kann sicher auch nicht schaden.« Sie
zögerte und rieb sich die Augen. Blinzelnd schob sie eine der
Öllampen zur Seite – beinahe als könne sie die
Helligkeit der Flamme nicht ertragen.
»Warum
versuchst du es heute nicht einmal?«, schlug sie nach einigen
Wimpernschlägen schließlich vor und fasste Sapphira
kritisch ins Auge. »Ich sehe heute nicht besonders gut«,
fügte sie hinzu und hob fast entschuldigend die Schultern. »Die
Entzündung will einfach nicht abklingen.« Seit einigen
Wochen beeinträchtigte eine Infektion ihr Sehvermögen, das
an manchen Tagen so schlecht war, dass das Licht ihr Schmerzen
bereitete. Der Vorschlag ließ Sapphira nervös schlucken.
Auch wenn sie bereits einige einfache chirurgische Eingriffe hatte
vornehmen dürfen, war das Ausrichten eines gebrochenen Knochens
eine Aufgabe, die viel Können erforderte. »Sollte nicht
lieber der Hekim …«,
hub sie an, doch die Ärztin schnitt ihr mit einer ungeduldigen
Geste das Wort ab. »Schlechter als dieser prahlende Quacksalber
wirst du es ganz gewiss nicht machen! Nur Mut, ich werde dir sagen,
was zu tun ist.« Damit schob sie ihre Schülerin auf den
Ausgang zu, und viel zu schnell fand sich Sapphira am Lager eines
fiebernden Knaben wieder, dessen Uniform zerrissen und blutbesudelt
war. Sie musste unbewusst die Luft angehalten haben, da ihr plötzlich
schwindelig wurde. Hastig atmete sie einige Male tief ein und
versuchte, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu bringen.
Warum erleichterte es sie dermaßen, dass der verletzte Junge
blondes Haar hatte? Bevor ihr die Antwort auf diese Frage klar wurde,
kam der Hekim aus
dem vorderen Bereich des Hospitals herbeigeschossen und zeterte:
»Warum wollt Ihr mir nicht glauben?«, erboste er sich und
tänzelte vor der Tabibe auf und ab. »Der
Knochen ist zu sehr beschädigt. Das Bein muss abgenommen
werden.« Anstatt ihm zu antworten, schnaubte die Ärztin
lediglich, schob ihn unzeremoniös zur Seite und entkorkte die
Flasche mit dem Mandragoraextrakt. »Keine Angst«,
ermunterte sie den Knaben, dessen Blick furchtsam zwischen den Frauen
hin und her zuckte. »Du wirst kaum etwas spüren.«
Sie presste ihm das getränkte Schwämmchen auf die Nase und
wartete, bis seine Augen sich schlossen. An Sapphira gewandt sagte
sie: »Du musst den Punkt finden, an dem der Knochen den Muskel
durchdrungen hat. Schieb den Knochenheber darunter und rücke ihn
an die ursprüngliche Stelle. Das Ganze sollte schnell vonstatten
gehen.« Die Atmung des Knaben beruhigte sich weiter. »Danach
reinige die Wunde und vernähe sie. Die Schiene kann der Hekim anlegen.« Sie bedachte
den Arzt mit einem grimmigen Blick, unter dem dieser zu schrumpfen
schien.
Wie
sie es schaffte, die Operation durchzuführen, wusste Sapphira
später nicht mehr. Alles, woran sie sich erinnern konnte war der
Ruck, der durch den Körper des Knaben ging, als
Weitere Kostenlose Bücher