Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
diesem befahl, die Waffen zu verteilen. »Wer ist euer Herr,
und wem dient ihr bis in den Tod?«, donnerte ein zweiter
Ausbilder, während die jungen Männer sich Köcher und
Bogen über die Schultern warfen. »Dem Padischah, dem Schatten Gottes auf
Erden, dem mächtigen Bayezid Yilderim ,
dem Vater, der uns zu essen gibt!«, antworteten die helleren
Stimmen wie aus einem Munde. Und wenngleich die Worte einen bitteren
Geschmack zu hinterlassen schienen, legte auch Falk so viel Nachdruck
wie möglich in die täglich mehrmals wiederholte Parole.
»Sultan Bayezid, Sultan Bayezid, Sultan Bayezid!« Sobald
der Kampfruf verklungen war, trabten die jungen Männer wie
befohlen zum Schießplatz, auf dem bereits die als Ziel
dienenden, ausgehöhlten Holzscheite verteilt worden waren. »Die
erste Reihe! Anlegen, zielen, schießen!«, brüllte
der Schützenmeister, und kurz darauf surrten die ersten Pfeile
durch die Luft. Mit zusammengebissenen Zähnen ignorierte Falk
den Schmerz, als die Sehne gegen seinen ohnehin schon blauen Unterarm
schlug, und zog einen weiteren Pfeil aus dem Köcher. Froh, dass
mehr als die Hälfte seiner Geschosse ihr Ziel fanden, trat er
kurze Zeit später in die zweite Reihe zurück und harrte mit
klopfendem Herzen auf die Strafe für seine Fehlschüsse. Die
allerdings heute ausblieb. Verstohlen riskierte er einen Blick unter
gesenkten Lidern hervor und beobachtete den Janitscharen, der an den
meisten Tagen jeden Patzer mit einem Rutenhieb quittierte. Heute
allerdings lehnte er gelangweilt am Stamm einer Palme und kaute auf
einem Strohhalm. Was für ein Glück!, dachte der junge Mann
und stöhnte innerlich auf, als der Bursche vor ihm viel zu
schnell alle Pfeile verschossen hatte.
        Stunden
vergingen, und nach einer Weile fing es an zu regnen. Erst gegen
Mittag gönnte der Ausbilder ihnen eine kurze Pause, in der sie
ein Stückchen nur halb gebackenes Brot und eine Scheibe
Trockenfleisch erhielten. »Esst!«, befahl er. »Danach
bringt die Bögen zurück in die Waffenkammer und holt euch
ein Yatağan – ein Krummschwert.« Mühsam würgte Falk einen
zähen Bissen hinab und schloss müde die Augen. Wann war
sein Kampfwille, seine Entschlossenheit zur Flucht in die stumpfe
Gleichgültigkeit umgeschlagen, die ihn jeden Tag mehr in eine
willenlose Gliederpuppe verwandelte?, fragte er sich resigniert. Wann
hatte er aufgehört, gegen das Schicksal anzukämpfen? Essen,
schlafen, überleben. Das war es, worum sich sein Denken
inzwischen drehte. Eine kalte Hand griff nach seinem Herz. Mit jedem
Tag, den er dem erbarmungslosen Drill ausgeliefert war, verblassten
die Gedanken an seine Eltern, seinen Onkel und sein früheres
Leben, und manchmal fragte er sich, ob alles nur ein Traum gewesen
war. Inzwischen war es ihm sogar egal, ob Otto ihn verraten hatte
oder nicht. Was sollte ihm eine solche Erkenntnis auch bringen?
Blinder, unbedingter Gehorsam – das war es, was ihn aus dem
Sumpf der Hoffnungslosigkeit ziehen konnte, in dem er bis zum Hals
steckte. Blinder Gehorsam und herausragende kämpferische
Leistungen. Dann würde er vielleicht irgendwann in die
königliche Reiterei befördert, die den Neid vieler
Fußsoldaten auf sich zog. »Wollt ihr hier Wurzeln
schlagen?!« Der drohende Unterton des Ausbilders brachte die
Knaben dazu, ihr Mahl hastig zu beenden und wie befohlen die Waffen
auszutauschen. Als Falk und seine Leidensgenossen sich wenige Minuten
später wieder auf dem Kampfplatz einfanden, lagen bereits Helme
und Kettenhauben bereit. Diese bedeckten Gesicht und Brust und ließen
nur die Augen frei, damit die Schwertkämpfer sich nicht bereits
beim ersten Schlagabtausch verletzten. »Ihr werdet heute auch
den Kettenpanzer anlegen«, verkündete der Fechtmeister und
wies auf einen Stapel eiserner Hemden, welche die jungen Männer
misstrauisch beäugten. »Ihr habt lange genug mit stumpfen
Waffen gefochten. Es ist Zeit, dass ihr lernt, welche Folgen
Unaufmerksamkeit in einem echten Kampf hat.« Falk spürte
wie sich Furcht in ihm ausbreitete. Hatte er richtig verstanden?
Während er mit steifen Fingern die Kettenhaube über den
Kopf zog und sich in einen schlecht sitzenden Panzer zwängte,
schalt er sich einen Narren.
        Warum
sollten ihn ausgerechnet heute seine inzwischen beträchtlichen
Türkischkenntnisse im Stich lassen? Ein bitteres Lachen stieg in
ihm auf, doch es gelang ihm, es zu schlucken. Was würde Ünsal
sagen, wenn er ihn jetzt sehen könnte?, fuhr es ihm durch den
Kopf. »Hast du

Weitere Kostenlose Bücher