Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Becken der Springbrunnen, teils in den Ästen
der immergrünen Pflanzen fingen. Sie hustete und hob den Ärmel
vors Gesicht. Als endlich die hohe Pforte vor ihr auftauchte, eilte
sie an einer Handvoll Jariyes vorbei in die Eingeweide des
Palastes, dessen zahlreiche Kamine und Kohlebecken für eine
angenehme Temperatur sorgten. »Ich bin gespannt, was sie heute
wieder von uns verlangt.« Die Stimme erklang so dicht hinter
ihr, dass Sapphira erstaunt herumfuhr. Hüma, ihre schlanke,
hochgewachsene Mitschülerin aus dem fernen Indien, grinste
spöttisch. »Vielleicht habe ich Glück und darf die
Laute schlagen«, setzte sie hinzu, verstummte jedoch
schuldbewusst, als eine altmodisch gekleidete Hofdame am Ende des
Ganges erschien. Diese klatschte ungeduldig in die Hände, als
sie die Mädchen erblickte, und schimpfte: »Welche Ausrede
habt ihr wohl dieses Mal? Hat euch die Kälte die Glieder
einfrieren lassen?« Sapphira verkniff sich ein Stöhnen.
Genau wie Hüma war auch sie nicht allzu begeistert von der neuen
Lehrerin, die den Schülerinnen der Valide die Kunst des
Gesanges beibringen sollte.
        »Du
und du, ihr spielt die Instrumente.« Die Hofdame deutete auf
Sapphira und ein blondes, hellhäutiges Mädchen, das
vergeblich versucht hatte, in den Hintergrund zurückzuweichen.
Bevor die andere danach greifen konnte, schnappte Sapphira sich die
Schellentrommel, sodass der Blonden nur die Laute blieb. Hüma,
deren Hoffnung damit im Keim erstickt worden war, verdrehte
verzweifelt die Augen. Doch ihr resignierter Blick erreichte genau
das Gegenteil von dem, was sie sich vermutlich erhofft hatte, weil
die Lehrerin sie zu sich winkte. Mit einigen geübten Handgriffen
zupfte sie die Kleidung ihres Opfers zurecht, bis der Hals der jungen
Frau frei lag und nichts die Bewegung ihres Kopfes einschränkte.
»Deine Stimme habe ich noch nicht vernommen«, stellte sie
fest und zog Hümas Schultern gerade. »Aufrechte Haltung
trägt den Ton«, mahnte sie und bedeutete dem Rest der
Anwesenden, sich auf dem Boden niederzulassen. »Ihr anderen
schweigt und achtet auf die Höhen. In ihnen liegt das Geheimnis
des Lockens.« Sapphira schluckte ein Seufzen, da die Meisterin
denselben Vortrag bereits mehrmals gehalten hatte. Diese fuhr
unbeirrt fort: »Sind die Töne zu schrill, schmerzen euren
Zuhörern die Ohren. Sind sie zu tief, gerät der Vortrag aus
dem Gleichgewicht.« Sie wackelte mit dem Zeigefinger. »Denkt
an den Gesang einer Nachtigall und versucht, ihn nachzuahmen. Dann
werdet ihr diese Kunst meistern und den Padischah betören.«
        Bei
dem Gedanken an Bayezid zog sich etwas in Sapphira zusammen. Zwar
träumte sie immer noch davon, eines Tages von ihm erwählt
zu werden. Doch mit jeder Stunde, die verstrich, fürchtete sie
mehr, dass dieser Traum niemals in Erfüllung gehen würde.
Das makellose Gesicht Maria Olivera Despinas tauchte vor ihrem
inneren Auge auf, und sie fegte es ärgerlich beiseite. Je öfter
sie den eigenen, ungeschliffenen Liebreiz mit der vollkommenen Anmut
der Älteren verglich, desto erbärmlicher und langweiliger
kam sie sich vor. Nur mit halbem Ohr hörte sie die gesummte
Melodie, welche die Mädchen imitieren sollten, und verpasste
beinahe das Zeichen zum Einsatz. Während sie sich vorstellte,
dass es das Gesicht der Sultansgemahlin war, hob Sapphira das
Tamburin auf und schlug mit der Handfläche gegen das glatte
Leder. Wie viele unnütze Dinge musste sie noch lernen?, grollte
sie und schüttelte die Schellen. Nach einigen Takten fand sie
den Rhythmus des Liedes, und ihre Hände machten sich
selbständig, während ihre Gedanken auf Wanderschaft gingen.
War es wirklich der Sultan, der all diese Kenntnisse und Fertigkeiten
von seinen Konkubinen verlangte? Oder war es vielmehr eine
Möglichkeit für die älteren Frauen im Harem, die jüngeren Mitglieder
so lange wie möglich von ihm fernzuhalten? Ihr Blut erhitzte
sich, als ihre Erinnerung sie, wie so häufig, zu dem Tag
zurückkatapultierte, an dem sie die Berührung des erhabenen
Herrschers auf ihrer Haut gespürt hatte. Es war als überzöge
eine Unzahl von Ameisenbissen ihren Körper, und nur mit Mühe
unterdrückte sie einen sehnsüchtigen Laut. Wann würde
sie endlich in die wirklichen, tiefen Geheimnisse der Liebeskunst
eingeweiht? Wenn es so weiterging, war sie bald zu alt, um dem
mächtigen Bayezid Khan zugeführt zu werden! In weniger als
zehn Monaten würde sie ihr sechzehntes Lebensjahr erreichen und
sich auf dem besten Weg zu einer

Weitere Kostenlose Bücher