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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Bruchteil
eines Augenblickes alle Schmerzen vergessen. Als sich jedoch eine
Gruppe Janitscharenwächter von rechts näherte, fuhr er
schuldbewusst zusammen und eilte hastig weiter. Gerade als er das
Rekrutenquartier erreicht hatte, zuckte ein greller Blitz über
den Himmel und tauchte das südlich der Stadt gelegene Gebirge in
ein unheimliches Licht. Unmittelbar darauf folgte ein grollender
Donner, und der Wind frischte so weit auf, dass Stroh und tote
Blätter durch die Luft tanzten. In der beinahe gelblichen
Beleuchtung vermeinte er einige Herzschläge lang, Terrassen am
Bergrücken ausmachen zu können, doch mit einem Blinzeln
verschwand der Eindruck wieder. Kopfschüttelnd wandte er den
Blick ab und betrat das zwar ungeheizte aber wenigstens trockene
Gebäude. Dieses Gebirge war genauso wenig der Läuterungsberg
wie der Palast des Sultans der Eingang zur Hölle! Es war nichts
weiter als ein Bergmassiv. Er schleppte sich den Korridor entlang,
bis er zur Waffenkammer gelangte. Dort suchte er sich einen weichen
Lappen, etwas Öl und eine Ecke und begann, den Yatağan zu reinigen. Die Einsamkeit,
die ihn trotz all der anderen Rekruten täglich mehr zu ersticken
drohte, breitete sich in ihm aus, als die Erinnerung an sein altes
Leben wie eine Blase an die Oberfläche stieg, nur um kurz darauf
zu zerbersten. Inzwischen war ihm klar, dass es sich bei seiner
Notlage nicht um eine Prüfung Gottes handelte, sondern dass
dieser ihn schon längst verlassen hatte. Seine Hände
zitterten leicht, als er die Klinge vom Schmutz säuberte.
Zugegeben, er befand sich nicht – wie von Antonio geunkt –
im Reich des Teufels. Aber wenn Männer wie Ünsal ungestraft
vom rechten Glauben abfallen konnten, dann musste Gott an einem Ort
sein, der weit, weit entfernt war. Denn ansonsten hätte all sein
Zorn auf den alten Lehrer herabfahren müssen, als dieser
geleugnet hatte, dass Jesus der Heiland war.
        »Ich
bin der Herr dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir
haben. Ist es nicht das, was die Bibel sagt?«, hatte Ünsal,
der früher Alexios geheißen hatte, seine Schüler vor
einiger Zeit gefragt. »Woher weiß der denn, was die Bibel sagt?«,
hatte Antonio damals geraunt, woraufhin Ünsal geschmunzelt
hatte. »Ich habe sehr gute Ohren, mein Junge. Gib Acht. Dein Gott ist auch mein Gott. Frevelst du also meinem
Gott, dann frevelst du auch deinem Gott. Aber sind Gott, der Vater,
der Sohn und der Heilige Geist nicht drei Personen?« Er hatte den
Finger gehoben, um Antonios Einwand im Keim zu ersticken. »Und
widerspricht es nicht der Gerechtigkeit Gottes, dass er zugelassen
hat, dass sein Sohn, der ohne Sünde war, gekreuzigt wurde?«
Diese und viele weitere Fragen spukten seit dem Beginn des
Koranunterrichts in Falks Kopf herum und verwirrten ihn mehr, als er
sich eingestehen wollte. Er schüttelte die Erinnerung unwillig
ab und konzentrierte sich darauf, das Krummschwert auf Hochglanz zu
polieren. Auch wenn Gott ihn verlassen hatte, er würde eher
sterben, als der Verführung zu erliegen. Niemals würde er
zu einem falschen Gott beten, der ihm die Seele rauben und ihn zu
einem Werkzeug des Bösen machen würde! Zwar war er dankbar
dafür, dass der morgige Tag eine Pause von den zermürbenden
Waffenübungen bringen würde. Aber er würde seine Ohren
vor den Worten des Eunuchen verschließen und nicht zulassen,
dass die giftige Pflanze des Zweifels Wurzeln in seinem Verstand
schlug.

Kapitel 53
     
    Bursa,
Spätherbst 1400
     
    Den Blick
vom Wein getrübt, verfolgte Bayezid, wie die fünf grazilen
Mädchen sich zum Klang der Instrumente vor ihm und seinen Gästen
im Kreise drehten. Leichtfüßig und verführerisch
huldigten sie ihrem Herrn mit einem Tanz, der an Vollkommenheit kaum
zu übertreffen war. Vor allem eine hochgewachsene Sklavin mit
edlen, indischen Gesichtszügen fesselte das, was von seiner
Aufmerksamkeit übrig war. Ihre glockenklare Stimme schien den
Gesang einer Nachtigall nachzuahmen, und auch die Bewegungen ihrer
formvollendeten Arme glichen dem Schwingenschlag eines Vogels. Seine
Mutter hatte ganze Arbeit geleistet bei der Ausbildung der jungen
Dinger!, dachte er und grunzte, als sein Leibpage mit einer
Weinkaraffe neben ihm auftauchte. »Schenk nach«, befahl
er und riss dem Jungen den Kelch aus der Hand, kaum war dieser wieder
bis zum Rand gefüllt. Das Geschirr auf der langen Tafel funkelte
im Schein der bunten, chinesischen Lampions, die beinahe genauso
kostbar waren wie das bemalte Porzellan.

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