Die Heilerin des Sultans
müssen wir die Verbände entfernen und sehen, was noch
zu retten ist.« Eine verschleierte Gestalt näherte sich
seinem Bett von der anderen Seite und setzte ihm erneut den Becher
mit dem bitter-süßen Trank an die Lippen. Blinzelnd
versuchte er, etwas von ihrem Gesicht zu erkennen, aber außer
tiefblauen Augen und einem schlanken Nasenrücken war nichts
unbedeckt. Mitleid lag in ihrem Blick und auch etwas anderes, das
Falk nicht verstand. Da jeder Schluck der Medizin ihn mehr benebelte,
verschwamm sie jedoch schon bald vor seinen Augen und er ließ
sich von einer Wolke umhüllen, die ihn davontrug. Er fühlte
noch, wie die Frauen sein Bein berührten. Aber wohingegen vor
Kurzem schon die Berührung von Stoff genügt hatte, ihn
aufschreien zu lassen, verursachte das behutsame Tasten lediglich
leichte Nadelstiche. Bevor er in einen tiefen Schlaf fiel,
registrierte er noch einen beißenden Gestank, der ihm in seine
Träume folgte.
Kapitel 60
»Mein
Gott«, stieß Sapphira erschüttert hervor, als die
letzte Binde fiel. Das deutlich vernehmbare Knistern hatte sie
bereits das Schlimmste fürchten lassen, aber der Anblick des
Beines jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Vereitert
und bläulich verfärbt, warf das Fleisch an manchen Stellen
Blasen, und als die Tabibe die Wunde betastete, verstärkte
sich das knisternde Geräusch. Ein Schwall blutig-schwarzen
Sekrets trat aus, dessen schaumige Konsistenz ihren Verdacht
bestätigte. Der faulige Geruch ließ sie würgen und
sich wünschen, sie hätte etwas Adlerholz mit Amber zum
Räuchern mitgebracht. »Ich brauche deine Augen, Sapphira«,
sagte die Tabibe, die sich dicht über die Verletzung
gebeugt hatte. »Kannst du mir die Farbe genau beschreiben?«
Sapphira trat neben sie und versuchte, die unterschiedlichen
Schattierungen so präzise wie möglich zu benennen. »Dann
ist es so, wie ich befürchtet habe. Der gallige Fluss hat zur
Fäulnis geführt und einen Wundbrand ausgelöst.«
Sie rieb sich das Kinn. »Wir müssen sofort die
Goldfliegenlarven aufsetzen, sonst schreitet die Vergiftung fort und
er stirbt.« Sapphiras Herz verkrampfte sich und plötzlich
fiel ihr das Atmen schwer. Um zu verhindern, dass sie ihre Gefühle
verriet, zwang sie sich, an den Tag zurückzudenken, an dem sie
das Arzneilager zum ersten Mal betreten hatte. Deutlich erinnerte sie
sich an die wimmelnden, weißen Maden, die sie auf dem
verfaulten Stück Fleisch entdeckt hatte. Ohne auf eine weitere
Anweisung zu warten, raffte sie die Entari und hastete in die
Apotheke. Ihren Ekel unterdrückend packte sie die Larven samt
Fleisch in ein Stück Stoff ein und kehrte in den
Janitscharenbereich zurück. Sie überreichte der Ärztin
mit zitternden Händen das Tuch, das diese vorsichtig
zurückschlug. »Das ist deine Aufgabe«, seufzte die
Ältere, nachdem sie einige Wimpernschläge lang blinzelnd
auf das Gewimmel gestarrt hatte. »Ich fürchte, wenn es so
weitergeht, wirst du noch schneller lernen müssen.« Trotz
des Aufruhrs in ihrem Inneren riss Sapphira erstaunt die Augen auf.
»Wie meint Ihr das?«, fragte sie und kniete sich neben
das Lager des Patienten. »Ich erblinde, Sapphira«,
stellte die Tabibe ruhig fest. »An manchen Tagen sehe
ich die Dinge nur noch schemenhaft. Heute ist es besonders schlimm.«
Sie presste mehrmals die Lider aufeinander. »Wenn es mir nicht
bald gelingt, die Krankheit aufzuhalten, wirst du früher an
meine Stelle treten müssen, als ich dachte.« Sie seufzte
leise und legte ihrer Schülerin eine Hand auf den Arm. »Aber
so weit ist es noch nicht.«
Der
Schreck, den diese Eröffnung ihr bescherte, trug nicht gerade
dazu bei, Sapphiras Hand ruhiger zu machen. Aber eine platzende Blase
ließ sie nach den Maden greifen. »Was muss ich mit den
Larven tun?«, fragte sie und rümpfte die Nase, als sie das
Krabbeln auf der Haut spürte. »Setze sie auf das
abgestorbene Fleisch und bedecke sie mit einer dünnen Schicht Qazz. Dann
wickel eine Binde locker um das Bein. Bereits in einigen Stunden wird
man erkennen, ob die Behandlung anschlägt.« Sapphira
befolgte die Anweisungen und atmete erleichtert auf, als endlich eine
Schicht frischer Verbände das entstellte Bein bedeckte. »Ich
bin fertig«, sagte sie und wischte sich die Hände an einem
sauberen Tuch ab. Die Tabibe schwieg einige Augenblicke,
bevor sie sich ihrer Schülerin zuwandte und dieser in die Augen
sah. »Du solltest deine Gefühle für ihn vergessen,
solange du seine Ärztin bist«, riet sie und
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