Die Heilerin des Sultans
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»Woher
kommst du?« Das bleiche Gesicht des strohblonden jungen Mannes
zierte eine gebrochene Nase. Sein linker Arm steckte in einer
Schlinge, und eines seiner Beine schien ebenfalls gebrochen. »Du
hast im Schlaf gesprochen.« Falk, der sich inzwischen
wesentlich kräftiger fühlte, stemmte sich auf einen
Ellenbogen und starrte den Burschen an. »Du bist Deutscher«,
stellte er überflüssigerweise fest, da sein Bettnachbar in
einem breiten bayerischen Dialekt sprach. »Ja«, gab der
Blonde zurück. »Mein Name ist Hans Schiltberger. Ich komme
aus München.« Falk starrte weiter. »Warum bist du
hier?« Die Frage erschien ihm selbst unsinnig, da Hans sie ihm
ebenso gut hätte stellen können. Aber dieser lächelte
und antwortete trocken: »Ich bin bei einer Reitübung unter
die Hufe meines Pferdes gekommen.« Falk musste lachen. »Ich
meine, warum bist du hier in Bursa?«, erklärte er. »Bist
du auch von Piraten gefangen genommen worden.« Hans riss die
Augen auf und schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin hier,
seit mein Herr vor vier Jahren bei der Schlacht von Nikopolis
gefallen ist.« Seine Ohren röteten sich, als Falk
ungläubig blinzelte. »Seit vier Jahren?«,
stieß dieser schließlich hervor und fuhr sich mit den
Handflächen über das Gesicht. »Hast du nie versucht
zu fliehen?«, platzte es aus ihm heraus. Hans schnaubte und
verlagerte die Stellung. »Und ob ich das habe!«,
versetzte er – mit einem Mal hitzig. »Ich und über
fünfzig andere Gefangene haben kurz nach unserer Ankunft hier im
Palast Pferde gestohlen und uns davongemacht.« Seine grasgrünen
Augen funkelten. »Aber bevor wir uns versahen, hat man uns
wieder eingefangen und vor Bayezid geschleppt. Wenn sein Hauptmann
nicht um unser Leben gebeten hätte, dann hätte der Sultan
uns eigenhändig hingerichtet.« Er zog schaudernd die
Schultern hoch. »Neun Monate sind wir in Ketten gelegen, bis
sein ältester Sohn ihn endlich um Gnade für uns gebeten
hat.« Falk schlug die Decke von seinem Bein zurück und
rutschte ein wenig höher, sodass er sich gegen die Wand lehnen
konnte.
»Glaub
mir«, sagte Hans beklommen, »Dem mächtigen Bayezid Yilderim widersetzt man sich nicht.« Er kaute eine Zeit lang an einem
Fingernagel, bevor er fortfuhr: »Zweimal hatte ich bereits die
Klinge eines Osmanen am Hals. Ein drittes Mal werde ich sicherlich
nicht davonkommen.« Falk horchte auf. »Was ist beim
zweiten Mal geschehen?«, fragte er neugierig – froh über
die Ablenkung, die ihm der Himmel in Hans’ Gestalt geschickt
hatte. Seit der Schmerz nachgelassen hatte und die Wunde heilte,
beschäftigte er sich damit, die bunten Fliesen, flackernden
Öllampen und Spinnenweben, ja selbst die Hospitalhelfer zu
zählen, um die Grübelei um Otto in Zaum zu halten. Und da
er zudem für alles dankbar war, was ihm das Warten auf Sapphira
verkürzte, griff er Hans’ Andeutung nur allzu gerne auf.
»Das erste Mal«, raunte Hans und senkte die Stimme zu einem
verschwörerischen Flüstern, obwohl sie vermutlich niemand
verstehen konnte. »Das erste Mal sind rings um mich herum die
Köpfe von gefangenen Christen gefallen. Nach dem Sieg bei
Nikopolis hat der Sultan Hunderte von Männern enthaupten
lassen.« Er schluckte schwer und fuhr sich mit der Zunge über
die Lippen. »Ich dachte schon, jetzt sei ich an der Reihe«,
setzte er seine Geschichte nach kurzem Schweigen fort, »als der
Befehl erklang, alle unter zwanzig Jahren zu verschonen.« Er
zog einen Mundwinkel nach oben. »Seitdem kämpfe ich für
den Sultan.« Sein linkes Augenlid begann zu zucken und er
sprach hastig weiter. »Mein Vater war ein Ritter«, hub er
an. »Wenn ich mich weiter anstrenge, macht mich der Sultan auch
bald zu einem Ritter. Noch vor Kurzem war ich nichts als ein
einfacher Fußläufer.« In seiner Stimme schwang Stolz
mit. »Jetzt bin ich Vorreiter.« Falk lehnte den Kopf an
die Wand und schloss die Augen, um seine Verwunderung zu verbergen.
Wie es aussah, hatte Hans sich nicht nur damit abgefunden, für
den Rest seiner Tage hier gefangen zu sein, er wollte trotz aller
Feindschaft in den Reihen des Sultans aufsteigen. »Mein
Großvater war auch ein Ritter«, lenkte er das Gespräch
zurück auf ein Thema, das ihm weniger Unbehagen bereitete. »Und
ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er mir das Kämpfen
beigebracht hätte.« Hans öffnete den Mund, um eine
Frage zu stellen, doch er kam nicht dazu.
»Du
solltest Türkisch reden, damit du nicht alles wieder
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