Die Heilerin des Sultans
hatte einer seiner Hoftheologen den Mord, den er an seinem
Bruder begangen hatte, mit einer Sure aus dem Koran gerechtfertigt.
Aber das Entsetzen in den Augen des Älteren, als er diesen mit
einer Bogensehne erdrosselt hatte, verfolgte Bayezid immer noch. Der
Duft der Rosen schien sich auf einmal mit dem beißenden Gestank
des Blutes der Gefallenen zu vermischen, und er rümpfte
angewidert die Nase, während er zum wohl tausendsten Mal die
feige Tat vor sich selbst zu rechtfertigen versuchte. Was sonst hätte
er tun sollen, um sich die Thronfolge zu sichern? Wie so oft, wenn er
an diesen Tag zurückdachte, rief er sich die Worte des Theologen
ins Gedächtnis. Er presste die Handballen gegeneinander, um das
unsichere Zittern zu unterdrücken, das stets folgte. Denn sagte
der Koran nicht auch, dass der Lohn desjenigen, der einen anderen
Gläubigen tötete, gewaltige Strafe und das Höllenfeuer
waren? Der unvermittelt aus seinen Poren tretende Schweiß
überzog seine Haut mit einem Prickeln, und er schloss schaudernd
die Augen. Er musste aufhören, sich mit Dingen zu quälen,
die nicht mehr zu ändern waren. Was zählte, war die
Zukunft, und die schien im Augenblick strahlender und
vielversprechender als je zuvor. Er schluckte den bitteren Geschmack
der Schuld und zwang sich, nach vorne zu blicken. Bald, schon bald
würde sich der Traum seines Urgroßvaters Osman
bewahrheiten; und er, Bayezid, würde derjenige sein, der den Ghaza, den
Heiligen Krieg, endgültig zu Gunsten des Islam entscheiden
würde. Und dann würden die Guttaten, über welche der
Schreiberengel auf seiner rechten Schulter Buch führte, mit
Sicherheit seine Übeltaten überwiegen, und er würde
nach seinem Tod ins Paradies einziehen.
Mit
einem letzten Blick auf das in der Sonne funkelnde Dach der Moschee
wandte er dem Fenster den Rücken und zog die Nachricht von
Johannes Palaiologos aus den Falten seines Gewandes. Während er
das mit einer beinahe kindlich runden Handschrift beschriebene
Dokument einige Male zwischen den Fingern hin und her drehte, fragte
er sich, wann die Einwohner Konstantinopels wohl zur offenen
Rebellion gegen ihren abwesenden Kaiser übergehen würden.
Wie Johannes berichtete, wuchs der Zorn in der Bevölkerung, da
Manuel sich auf seiner Europareise offensichtlich mehr den
philosophischen Debatten als der Beschaffung von Hilfstruppen
widmete, während die Byzantiner Hunger litten. Versonnen ließ
Bayezid sich auf einen der vielen, mit Seidenkissen überhäuften
Diwane fallen und malte sich aus, was geschehen würde, wenn die
Stadt endlich ihm gehörte. Ein kaltes Lächeln teilte seine
Lippen. Dann konnte ihn auch dieser tatarische Emporkömmling
Timur Lenk, der den Titel Khan genauso wenig verdiente wie eine Harems sklavin,
nicht mehr aufhalten! Dieser verkrüppelte Seidenkrämer aus
Samarkand. Er schnaubte verächtlich. Nachkomme Dschingis Khans!
Auch wenn er sich geschworen hatte, Oliveras schlechten Einfluss
abzustreifen und damit aufzuhören, griff er nach dem Kelch aus
venezianischem Glas, in dem teuerster Hippocras
– mit Gewürzen
verfeinerter Wein – funkelte. Kaum hatte das köstliche
Getränk seinen Gaumen berührt, kehrten seine Gedanken zu
Timur zurück. Timur, der Eiserne. Als wäre irgendetwas an
ihm aus Eisen! Bayezid verzog das Gesicht. Ganz egal, welche Beinamen
ihm seine tatarischen Untertanen gaben, änderte das nichts an
der Tatsache, dass der Mongole wie ein Weib in einer Sänfte auf
das Schlachtfeld getragen werden musste, weil er zu schwach war, sich
mit seinem gelähmten Bein im Sattel zu halten. Und solch ein
Witz von einem Krieger wollte ihm, Bayezid Yilderim, etwas vorschreiben? Erbost
erinnerte er sich an den Inhalt des Briefes, mit dem Timur ihn
aufgefordert hatte, den Prinzen von Kharput endlich freizulassen und
an den tatarischen Hof zu schicken. Als ob er sich diese Blöße
geben würde! Wäre ihm der Prinz nicht in die Quere
gekommen, hätte Bayezid sein Gebiet schon längst weiter
nach Osten ausgedehnt. Er schenkte sich aus einer goldenen Karaffe
Wein nach. Und genau das war es, wovor Timur Angst hatte, dachte er
abfällig. Zwar bezeichnete sich der Mongole großspurig als
Herrscher über Persien, Armenien, Mesopotamien, einen Teil
Indiens, sowie die Steppen zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen
Meer. Doch würde er Bayezid niemals den Rang des obersten
islamischen Kriegsherren streitig machen. Dafür würde er
sorgen. Besaß nicht er die heiligsten Reliquien des
Islam – den
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