Die Heilerin des Sultans
verärgert hatte. Wie konnte man nur so argwöhnisch
sein?! Otto zuckte die Achseln. »Ich hatte an einen
Wechselbrief gedacht«, sagte er beiläufig, bevor auch er
nach seinem Becher griff und einen tiefen Schluck tat. »Einen
Wechselbrief!«, schnaubte Lutz. »Und wer dachtet Ihr
gewährt Euch darauf Kredit?« Ottos Augen wanderten in
Falks Richtung. »Ich könnte ihm das Geld auslegen«,
sprang dieser prompt für seinen Onkel in die Bresche. »Die
Geschäfte laufen gut, ich habe mehr als genug.« »Das
ist richtig«, versetzte Lutz gezwungen ruhig. »Aber das
heißt nicht, dass du dein Vermögen leichtsinnig aufs Spiel
setzen solltest.« Flammende Hitze schoss Falk in die Wangen.
»Das solltest du meine Sorge sein lassen«, gab er eisig
zurück. »Immerhin handelt es sich um mein Vermögen!« Damit
wandte er Lutz demonstrativ den Rücken zu und bemerkte
übertrieben gelassen: »Der Süden fehlt mir ohnehin.
In Mailand waren die Winter nicht halb so lang und kalt wie hier.«
Er lächelte unnatürlich, da die Erinnerung an seine frühe
Kindheit untrennbar mit der Erinnerung an seine Eltern verbunden war.
Um seine Gefühle zu überspielen, stopfte er hastig einen
viel zu großen Bissen in den Mund und kaute – mit einem
Mal appetitlos – während sich längst vergessen
gewähnte Bilder in sein Bewusstsein drängten. Bevor er und
seine Familie nach Straßburg gezogen waren, hatte sein Vater
auf der Baustelle des Mailänder Doms gearbeitet, und noch immer
vermeinte Falk an manchen Tagen, den einzigartigen Duft der Poebene
zu riechen. Er schluckte den nur halb zerkleinerten Brocken, bereute
seine Hast allerdings sofort. Hustend rang er nach Luft, griff nach
seinem Becher und vergoss den halben Inhalt bei dem Versuch, seine
Kehle durchzuspülen. Einige panische Augenblicke lang fürchtete
er zu ersticken, doch dann löste sich die Verstopfung und der
Happen rutschte schmerzhaft weiter in Richtung Magen.
»Heiliger
Antonius!«, spuckte er – zusammen mit einigen
unansehnlichen Stückchen Fleischbrei – aus und fasste sich
an die Brust. »Um ein Haar.« Mit zitternder Hand wischte
er sich den verschmierten Mund, während die verdrängte
Aufregung erneut von ihm Besitz ergriff. »Werden wir den König
der Ungläubigen zu Gesicht bekommen?«, fragte er keuchend,
da die Gerüchte, welche über den mächtigen Sultan
kursierten, schon längst bis in die entferntesten Winkel der
Welt vorgedrungen waren. Otto schüttelte den Kopf. »Nein,
das glaube ich nicht. Man sagt, er verlässt kaum mehr seinen Harem in Bursa.« Falk blickte mit glänzenden Augen aus dem
offenen Fenster, von dem aus man die Münsterbaustelle sehen
konnte. Eine Reise in den Orient! Es schien, als wolle sein Herz vor
Aufregung davongaloppieren. Was für unglaubliche Erlebnisse ihn
dort erwarten würden! Die nüchterne Stimme seines
Verwalters riss ihn zurück in die Realität. »Vielleicht
solltest du ein paar Nächte darüber schlafen«,
stellte dieser mit einem Unterton in der Stimme fest, der Falk die
Zähne blecken ließ. »Ach ja?«, schoss er
erbost zurück. »Du scheinst zu vergessen, dass ich kein
Kind mehr bin!«, fauchte er. »Ich bin durchaus in der
Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen!« Otto von
Katzenstein hob beschwichtigend die Hände. »Aber, aber.
Wir sollten uns nicht streiten.« Er wandte sich mit einem
öligen Lächeln an Falk. »Was kann es schaden, wenn
Ihr Euch Zeit lasst mit Eurer Entscheidung? Die Pässe werden
ohnehin erst in einigen Wochen sicher sein. Noch könnte dort
Schnee liegen.« Er stemmte die Hände auf die Oberschenkel
und erhob sich. »Ich muss noch ein paar Erledigungen machen.
Warum besprecht Ihr die Sache nicht in aller Ruhe mit Eurem Freund?«
Immer noch lächelnd nickte er den beiden zu und verschwand kurz
darauf durch die Stubentür ins Treppenhaus. Während das
Knarren der Stufen immer leiser wurde, starrte Falk stur geradeaus –
fest entschlossen, Lutz zu ignorieren. Wenn er jetzt nicht hart
blieb, würde der Freund seines Vaters sich immer und immer
wieder in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Eine Falte grub
sich zwischen seine Brauen. Und ganz egal, wie hoch sein Vater ihn
geschätzt hatte, Falk würde ihm nicht erlauben, zu
vergessen, dass er nichts weiter war als ein Angestellter!
»Falk.«
So viel Resignation lag in diesem einen Wort, dass der junge Mann
entgegen aller Vorsätze den Blick wandte und seinen Verwalter
ansah. »Bitte.« Lutz fuhr sich mit den
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