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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Handflächen
über das wettergegerbte Gesicht, auf dem Sorge, väterliche
Strenge und Verständnis Widerstreit hielten. »Ich weiß,
wie verlockend sein Angebot dir erscheinen muss«, hub er an.
»Aber du solltest auch bedenken, dass du ihn kaum zehn Tage
kennst.« Er hob die Rechte, um Falk davon abzuhalten, ihn zu
unterbrechen. »Hast du dich denn nie gefragt, warum dein Vater
ihn niemals erwähnt hat?«, fragte er und sprach damit
etwas an, das Falk all die Zeit über verdrängt hatte.
»Vielleicht wusste er nicht, dass er einen Bruder hat«,
erwiderte er lahm, da selbst ihm diese Erklärung unsinnig
erschien. »Oder aber er hat ihm nicht getraut«, stellte
Lutz fest. Einige Atemzüge lang vergingen in Schweigen, bevor
Lutz fortfuhr: »Wäre es nicht vernünftiger, die
Vollblüter auf einem der anderen Märkte zu erstehen,
anstatt selbst das Risiko einer solchen Reise auf sich zu nehmen?«
»Sicherlich!«, fauchte Falk. »Aber es wäre
auch vernünftiger gewesen, Steinmetz zu werden!« Platzte
er zornig heraus. Ohne Vorwarnung wallten all die Verzweiflung und
Wut der vergangenen Monate in ihm auf, und die Ohnmacht drohte, ihn
zu ersticken. »Du hast doch keine Ahnung!« Fauchte er und
stieß seinen Stuhl so heftig zurück, dass dieser mit einem
lauten Krachen zu Boden ging. »Von wegen jeder hat das Recht,
sein eigenes Leben zu führen! Dazu hatte ich doch nie die
Möglichkeit.« Seine Brust hob und senkte sich heftig. »Ich
liebe Pferde. Ja, ich liebe sie fast mehr als alles andere auf der
Welt. Aber ich hätte alles gegeben, um Baumeister zu werden wie
mein Großvater!« Er hob einen anklagenden Finger. »Und
Pferde lieben heißt noch lange nicht, dass man es liebt, mit
ihnen zu handeln!« Feuer loderte in seinen Augen. »Weißt
du, wie mich die Herablassung der Käufer anekelt? Weißt
du, wie es ist, wenn beinahe jeder, mit dem du verkehrst, adelig ist,
und du selbst musst deine wahre Herkunft verschweigen?!« Er
stach mit dem Zeigefinger nach dem Kater auf seiner Brust. »Das
ist doch nicht zu übersehen, oder?! Und trotzdem werde ich
behandelt wie ein jüdischer Rosstäuscher!« Seine
Stimme drohte zu kippen. »Du kannst dir nicht einmal
vorstellen, wie oft ich diesen aufgeblasenen Affen am liebsten ins
Gesicht gebrüllt hätte, dass meine Großmutter die
Gräfin von Württemberg war?« Er hielt schwer atmend
inne. » Aber das«, fuhr er gepresst fort, »das wäre
mein Tod. Denn davor hat mich mein Vater gewarnt. Nicht aber vor Otto
von Katzenstein!«
        Mit
diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem
Zimmer. Ohne darauf zu achten, wo er hintrat, rannte er die Treppen
hinunter ins Erdgeschoss, fegte an zwei Knechten vorbei und stolperte
ins Freie, wo er wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte.
Vernunft, Vernunft, Vernunft! Wie er dieses Wort hasste! Und wie er
Lutz und all diejenigen hasste, die ihn um jede Freude, jedes
Abenteuer betrügen wollten. Blind vor Zorn und Erbitterung irrte
er ziellos durch die engen Gassen, zwängte sich an Fuhrwerken
und Reitern vorbei, bis er schließlich wieder auf der Rückseite
des Münsters anlangte. Immer noch innerlich kochend ließ
er sich auf die Stufen des Portals am Fuße der Chortürme
fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Als habe der
Streit mit Lutz die Schleusen geöffnet, brandeten ihm all die
Demütigungen der vergangenen Monate entgegen. Seit dem Verlust
seiner Eltern fühlte er sich so einsam wie er es niemals für
möglich gehalten hatte. Zwar gab es zwei ältere Schwestern
in seinem Leben, doch diese waren in Mailand und Straßburg
verheiratet. Und als Steinmetz, der seine Lehre abgebrochen hatte,
wollte auch sein Onkel Hans Kun – der Werkmeister des Ulmer
Münsters – nichts von ihm wissen. Denn dieser maß
als Schwiegersohn Ulrich von Ensingens dem Bauhandwerk mehr Bedeutung
zu als jedem anderen Gewerbe. Niedergedrückt starrte Falk auf
seine Stiefelspitzen. Und jetzt wollte Lutz, den er für einen
Freund gehalten hatte, ihn gegen den einzigen Verwandten, dessen
Achtung ihm etwas bedeutete, aufbringen und sein Gemüt gegen ihn
vergiften! Als ob Lutz wüsste, worum es ging. Mürrisch
verschränkte Falk die Arme über den Knien und bettete das
Kinn darauf. Die Zwickmühle, in der er stak, war so gewaltig,
dass er bis zum heutigen Tag gedacht hatte, niemals einen Ausweg
daraus finden zu können. Denn als Sohn eines Handwerkers war es
ihm unmöglich, einer Handelsgilde beizutreten – dazu waren
die

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