Die Heilerin des Sultans
mit
einem Krächzen wieder in die Lüfte. Ein Gedanke nahm in
Bayezids Kopf Gestalt an. Warum hatte er nicht schon vorher daran
gedacht? Er machte auf dem Absatz kehrt, fegte an Seidenteppichen und
Tigerfellen vorbei und herrschte einen Pagen an: »Ich will die Tabibe sehen!«
Dann
griff er nach einem der allgegenwärtigen Weinkrüge und
trank sich Mut an. Was, wenn die Heilerin ihn nicht von dem Fieber
der Seele befreien konnte, das an ihm fraß, seit er sein
eigenes Kind getötet hatte? Was, wenn sie machtlos war und er
irgendwann zu einer leeren Hülle wurde, die am Jüngsten Tag
nicht einmal mehr das Buch der Taten halten konnte? Die Hand, die den
Kelch hielt, zitterte leicht. Was würde geschehen, wenn seine
Taten auf der ungeheuren Waage gewogen wurden, deren Gewichte nichts
weiter als Senfkörner waren? Die Worte der elften Sure drängten
sich in seinen Verstand. »Die Verdammten kommen ins Feuer und
bleiben darin, solange Himmel und Erde bestehen, wenn Gott es nicht
etwa anders beschließt.« Er schloss schaudernd die Augen.
Würde irgendjemand Fürsprache für ihn einlegen? Ein
Prophet, ein Gelehrter, ein Blutzeuge oder irgendein anderer
Gläubiger? Oder würden alle mit einem anklagenden Finger
auf ihn zeigen, sodass ihn nicht einmal mehr Gottes Gnade vor dem
Höllenfeuer bewahren konnte? Der Wein schien sich in Essig
verwandelt zu haben, und er spuckte ihn zurück in den Krug. Wenn
er nicht bald aufhörte, sich mit solchen Überlegungen zu
martern, würde er irgendwann beginnen, mit dem Kopf gegen die
Wände anzurennen. Manchmal spürte er, wie sein Verstand
sich zurückzog und ihn schutzlos der Krankheit des Gemütes
auslieferte, die ihn langsam aber sicher zerstörte.
» Padischah. «
Ihre Stimme war wohlklingend und angenehm. Bevor er sie davon
abhalten konnte, warf sich die junge Frau vor ihm zu Boden und
wartete darauf, dass er ihr befahl aufzustehen. Tiefblaue Augen
beherrschten den Teil des Gesichtes, der trotz der Yashmak zu sehen war, deren reines
Weiß mit dem Olivton ihrer Haut kontrastierte. Sie ist
wunderschön!, dachte Bayezid und winkte sie näher. »Geht!«,
herrschte er ihre beiden Begleiterinnen an und schmunzelte, als sie
sich versteifte. Die Knöchel der Hand, mit der sie eine lederne
Tasche umklammert hielt, traten weiß hervor, und auch das
heftige Heben und Senken ihres Brustkorbes verriet ihre Aufregung.
»Kannst du auch Krankheiten der Seele heilen?«, fragte er
und streckte die Hand aus, um ihr den Schleier vom Gesicht zu ziehen.
Die Art und Weise, wie sie vor ihm zurückzuckte, erinnerte ihn
an etwas; und als das Tuch fiel, erkannte er in ihr das Mädchen
wieder, das ihm vor etwas mehr als zwei Jahren vorgeführt worden
war. » Du bist
das?«, fragte er erstaunt und vergaß einen Moment lang,
dass er die Tabibe vor
sich hatte. Wie damals schrak sie unter seiner Berührung
zusammen wie ein scheues Fohlen, und hätte nicht etwas anderes
seinen Geist beherrscht, hätte er an Ort und Stelle überprüft,
was er sich hatte entgehen lassen. »Herr, Körper und Seele
sind eng verbunden«, sagte sie leise und beantwortete damit
seine erste Frage. »Ist der eine Teil im Ungleichgewicht, ist
es auch der andere.« Sie schielte nach dem Weinkrug, und
Bayezid dachte reumütig an die Warnung zurück, sich von Al-kuhl fernzuhalten.
»Ein Überschuss an Galle und Schleim kann auch den Geist
vergiften«, fuhr sie etwas selbstsicherer fort, während
sie unauffällig etwas Abstand zwischen sich und ihn brachte.
Eine Sekunde lang flackerte Lust in ihm auf, rang er mit der
Versuchung, sich zu nehmen, was ohnehin ihm gehörte. Doch dann
siegte sein Verstand. »Heile mich davon!«, forderte er
und warf sich auf einen Diwan. »Lass mich zur Ader oder tu
sonst irgendetwas, aber sorge dafür, dass mich diese furchtbaren
Träume nicht tagein, tagaus quälen!« Die junge Frau
öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich
jedoch anders und schwieg.
Wortlos
kramte sie in der Tasche, zog ein kleines Messer hervor und kniete
sich neben ihn. »Darf ich?«, fragte sie und Bayezid
streckte ihr mit einem Nicken den Arm entgegen. Er reagierte mit
keinem Wimpernzucken auf den Schnitt, den sie in seiner Armbeuge
machte, und verfolgte, wie das Blut seinen Körper verließ.
Warum sah es auf dem Schlachtfeld anders aus, als in dem silbernen
Gefäß, mit dem sie es auffing? Sollte es nicht eigentlich
viel heller, viel roter sein?
»Ich brauche einige Kräuter aus dem Darüssifa «,
teilte
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