Die Heilerin des Sultans
Aber
ich will diese Privilegien nicht!, hätte Sapphira beinahe
ausgerufen, als ihr klar wurde, was dieser Umzug bedeutete. Ich will
im Dormitorium bei den anderen schlafen, wo ich mich heimlich mit
Falk treffen kann! Stattdessen hatte sie einfach nur sprachlos
geradeaus gestarrt – froh darüber, dass die Ärztin
sie nicht sehen konnte. Mit gebeugten Schultern verließ sie das
Gebäude und eilte zum Darüssifa, um ihr Tagwerk zu
beginnen. Ob Falk auf sie gewartet hatte?, fragte sie sich, als sie
ihre Runde antrat und versuchte, sich auf ihre Arbeit zu
konzentrieren. Dank dem Gerede der neugierigen Frauen wusste sie,
dass er unversehrt war, da der Pferdeknecht, der dem Padischah das
Leben gerettet hatte, immer noch für Gesprächsstoff sorgte.
Ein Seufzer machte ihr die Brust eng. Was er wohl gedacht hatte, als
sie nicht aufgetaucht war? Sie blieb vor einem Bett stehen und
betastete Hals und Achselhöhlen einer alten Frau. »Du bist
wieder gesund«, sagte sie tonlos und winkte eine Helferin
heran. »Sie kann gehen.«
Dann
begab sie sich zum Lager einer Durstkranken und überprüfte
die Menge des Urins, den diese über Nacht ausgeschieden hatte.
Noch immer war die Flüssigkeit nahezu durchsichtig, und egal,
wie viel die Frau trank, nichts wollte in ihrem Körper
verbleiben. Sie beschloss, der Kranken noch mehr schwer verdauliche
Speisen und Wasser zu verabreichen – in der Hoffnung, dem
Körper die verlorene Feuchtigkeit zurückzugeben. » Tabibe ?«
Die Helferin war neu und schüchtern. »Was ist?« »Der Hekim lässt
nach Euch schicken. Einer der verwundeten Rekruten ist sehr krank.«
Bei der Erwähnung des Arztes richtete sich ein Stachel in
Sapphira auf. Wie sehr sie diesen Kerl hasste! Unfähig und
arrogant, sorgte er mit beängstigender Regelmäßigkeit
dafür, dass ihre Hilfe im Bereich der Männer benötigt
wurde – auch wenn er ihre Methoden immer häufiger
anzweifelte. Der letzte hässliche Streit mit ihm lag kaum drei
Tage zurück, und Sapphira hatte keinerlei Lust, sich schon
wieder auf seine Spielchen einzulassen. Nichtsdestotrotz erhob sie
sich und befahl dem Mädchen, der Patientin Honigwasser
einzuflößen. Dann holte sie alles Nötige zur
Wundbehandlung aus dem Arzneilager und begab sich nach nebenan. Wo
sie entsetzt die Luft einsog, als sie all die Verwundeten erblickte,
die sich zum Teil zu zweit ein Bett teilen mussten. »Seht, was
Ihr angerichtet habt«, keifte der Hekim ohne Begrüßung und
schoss auf sie zu. Mit vor Empörung bebendem Finger zeigte er
auf einen etwa vierzehnjährigen Knaben, dessen Arm aufgedunsen
und verfärbt auf seinem Bauch lag. Die vier Zoll lange Wunde war
vereitert und dunkel verfärbt, beinahe wie Falks Bein es damals
gewesen war. Deutlich waren die ersten Anzeichen einer Vergiftung des
Blutes zu erkennen, die den Jungen vermutlich töten würde.
»Eure Salbe hat die Wunde verunreinigt«, zeterte der Hekim und
ignorierte den Schmerzenslaut des Knaben, als er nach dessen Arm
griff.
Sapphira
runzelte die Brauen und beugte sich über die Verletzung, um
diese näher in Augenschein zu nehmen. Kleine, schwarze Flocken
klebten an den Wundrändern und hatten stellenweise den Eiter
dunkel gefärbt. Vorsichtig, um dem Jungen nicht noch mehr Pein
zuzufügen, zog sie eine Pinzette aus ihrer Tasche und löste
einen der winzigen Fetzen. Zuerst konnte sie sich keinen Reim darauf
machen, doch dann begriff sie. Ein Ball des Feuers, der Wut und
Verbitterung bildete sich in ihren Eingeweiden und explodierte. Hass
loderte in ihren Augen, als sie sich zu dem Arzt umwandte und ihm
anklagend die Pinzette unter die Nase hielt. »Ihr habt Asche in
die Wunde gerieben«, stieß sie bebend hervor und machte
einen Schritt auf den Hekim zu. «Ihr habt in Kauf
genommen, dass er stirbt!«, zischte sie. Verachtung trat in die
stumpfen Augen des Arztes, und der stets leicht offen stehende Mund
schloss sich zu einer harten Linie. Das Flackern, das Sapphira um ihn
wahrnahm, verstärkte sich, als er die Hände auf die Brust
presste. »Wollt Ihr mir unterstellen, ich hätte seine
Gesundheit absichtlich gefährdet?«, fragte er schließlich
heiser und beugte sich vor, sodass sein Gesicht kaum eine Handbreit
von Sapphiras entfernt war. Sein Atem roch nach etwas Saurem. »Das
habt Ihr mir doch auch unterstellt«, knirschte Sapphira und
rümpfte die Nase. »Aber anders als Ihr setze ich nicht das Leben meiner
Patienten aufs Spiel, um Leibärztin des Sultans zu werden!«,
spuckte sie aus und
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