Die Heilerin des Sultans
Bettstatt auf einer
erhöhten Plattform stand, schnarchte leise, und nachdem sie sich
ein letztes Mal versichert hatte, dass außer ihr niemand wach
war, zog Sapphira das Nachtgewand enger um die Schultern und schlich
auf Zehenspitzen zu einem der vergitterten Fenster. Mit angehaltenem
Atem ließ sie sich auf der gepolsterten Fensterbank nieder,
lehnte den Rücken gegen die Steinmauer und zog die Beine an die
Brust. Obwohl ihr nicht kalt war, schlang sie die Arme um die Knie
und bettete das Kinn in der so entstandenen Mulde. Während die
feinen Härchen in ihrem Nacken sich aufrichteten, schloss sie
die Augen und horchte in die Nacht hinaus. Das aufgeregte Zirpen von
Grillen vermischte sich mit den vereinzelten, lang gezogenen Rufen
der in den Gärten gefangenen Vögel und den weit entfernten
Geräuschen der Außenwelt.
Was
Zehra wohl gerade tat?, fragte sich das Mädchen, während
die lange zurückgehaltenen Tränen in ihren Augen
aufstiegen. Zuerst vereinzelt, dann einem Sturzbach gleich rannen sie
über ihre Wangen, die – wie am Morgen – erhitzt und
fiebrig brannten. Von ihrer Magengrube ausgehend, breitete sich der
Kummer kriechend, aber unaufhaltsam in ihrer Brust aus, stieg ihr in
die Kehle und drohte, sie zu ersticken. Mit einem Geräusch, das
einem Schluckauf glich, versuchte die junge Frau, das immer heftiger
werdende Schluchzen zu ersticken. Doch das überwältigende
Gefühl des Verlustes war stärker. Wie das Wimmern eines
gequälten Tieres verklang der Laut in dem niedrigen Raum, und
als ein Rascheln verriet, dass eines der Mädchen sich bewegt
hatte, presste Sapphira die zitternden Hände vor den Mund.
Voller Verzweiflung rang sie den Drang, ihrer Pein lauthals Luft zu
machen, nieder und zwang sich, den abgehackten Atem unter Kontrolle
zu bringen. Am ganzen Körper bebend, wartete sie darauf, dass
wieder Stille einkehrte, bevor sie es wagte, den dröhnenden Kopf
an das Gitter zu legen. Wenn sie doch nur sterben könnte!,
dachte sie gebrochen und fasste sich an die linke Brust, unter der
ihr Herz zu zerbersten schien. So viel Schwermut erfüllte ihre
Seele, dass sie vermeinte, von innen zerfressen zu werden. Womit
hatte sie eine solch grausame Strafe verdient?, fragte sie sich
verzagt, während die Bilder des Tages ihr Bewusstsein
belagerten. Als geschähe es erneut, zerplatzte die Hoffnung, die
sie am Morgen empfunden hatte, zerbarst und zersplitterte in Tausende
von Stücken, die niemals wieder zusammengefügt werden
konnten. Um einen weiteren Ausbruch zu unterdrücken, biss sie
sich heftig auf die Lippe. Warum hatte der Sultan sich nur von ihr
abgewandt? Was hatte sie falsch gemacht? Die Enge in ihrer Brust
verwandelte sich in dolchartige Stiche. Hätte sie sich ihm
bettelnd zu Füßen werfen sollen? Oder hätte sie sich
genauso unwürdig gebärden sollen wie das blonde Mädchen,
dessen Ausbruch dort Erfolg erzielt hatte, wo Sapphira versagt hatte?
Wie ein gefangenes Tier drehten sich ihre Gedanken im Kreis, kehrten
immer und immer wieder zu dem gleichen Punkt zurück, bevor sie
schließlich zu erschöpft war, um sich weiter zu martern.
Stunden
mussten in dumpfem Brüten vergangen sein, da irgendwann nicht
nur ihre Glieder anfingen abzusterben, sondern auch die Nacht einem
hellen Streifen am Horizont wich. Erschöpft und ausgelaugt
streckte sie die steifen Beine und setzte die nackten Füße
auf den gefliesten Boden, bis die Nadelstiche nachließen. Mit
einem Seufzer, der aus solcher Tiefe kam, dass er eher klang wie ein
Stöhnen, stahl sie sich zurück zu ihrem Lager und schlüpfte
leise zwischen die Laken. Nachdem es keinen Sinn hatte, Schlaf zu
suchen, starrte sie blicklos an die Decke, an die die schwachen
Flammen der beinahe ausgebrannten Öllampen bizarre Muster
malten. Irgendwoher musste sie neue Zuversicht gewinnen! Vielleicht
konnte die Aufgabe im Hospital ihrem Leben wieder einen Sinn geben,
dachte sie niedergedrückt. Immerhin hatte die Tabibe deutlich gemacht, dass sie
vorhatte, Sapphira in ihr Wissen einzuweihen und sie zur Ärztin
auszubilden. Sie schluckte trocken, als sie sich die alarmierenden
Worte der Heilerin ins Gedächtnis rief. Was, wenn diese nicht
übertrieben hatte und Sapphira sich tatsächlich in Gefahr
befand, sollte ihre Gabe jemals ans Licht kommen? Was, wenn die
anderen Frauen wirklich dazu in der Lage waren, ihr ein Leid anzutun?
Bevor sie sich jedoch ausmalen konnte, welche Ausmaße die
Ränkespiele im Harem annehmen konnten, verkündete
das
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