Die Heilerin des Sultans
Augen des Großwesirs
wirkten gehetzt. »Er erbricht sich seit Stunden. Und die
Schmerzen werden immer schlimmer anstatt besser!« Mit
überraschend festem Schritt trat die Tabibe an die Seite des kranken
Herrschers und bat wortlos um die Erlaubnis, ihn berühren zu
dürfen. Erst als Bayezid schwach nickte, legte sie die Hand an
seinen Hals und fühlte den Puls. Mit einem verächtlichen
Naserümpfen griff sie nach dem schwarz-grünen
»fleischfressenden« Stein und schob diesen zur Seite, um
die stark geschwollene Hand des Sultans zu begutachten. »Gib
mir die kleine, rote Flasche«, wandte sie sich an Sapphira, die
sich nur mühsam vom Anblick des Großherrn löste. Was
war aus dem hellen Glanz geworden, der den prächtigen Herrscher
umgeben hatte, als betrete die Sonne mit ihm den Raum? Wo war die
Ehrfurcht einflößende Erhabenheit, die ihm etwas beinahe
Übermenschliches verliehen hatte? Die Enttäuschung, die so
unerwartet über sie kam wie ein Frühlingsgewitter, ließ
sie dankbar darum sein, einen undurchsichtigen Schleier zu tragen.
Denn ansonsten hätte das Befremden in ihrem Blick sie gewiss den
Kopf gekostet. Fahrig nestelte sie an dem Verschluss der ledernen
Tasche zu Füßen der Ärztin und tat wie befohlen. »Was
ist das?«, fragte der Großwesir misstrauisch, als die Tabibe das
Gefäß entkorkte. »Das sind zerkleinerte, in Alkohol
angesetzte Knollen der Herbstzeitlose«, entgegnete die Heilerin
geduldig und tröpfelte etwas von dem Elixier in ein Glas mit
Wasser. »Das ist das einzige Mittel, das hilft.« Einer
der Janitscharen trat mit hartem Gesicht hinter sie und befreite sein
Krummschwert aus der Scheide. »Woher weiß ich, dass Ihr
ihn nicht vergiftet?«, warf der Wesir misstrauisch ein. »Das
ist ein Risiko, dass Ihr eingehen müsst«, antwortete die Tabibe trocken
und augenblicklich legte ihr der Wächter den Stahl an die Kehle.
»Aber wenn er die Arznei nicht nimmt, wird seine Krankheit ihn
umbringen.«
Auch
Sapphira spürte die Spitze einer Waffe in ihrem Rücken.
Was, um alles in der Welt, dachte sich die Tabibe dabei, die Männer so zu
reizen?! »Wenn es nicht hilft, tötet sie«, ließ
sich auf einmal der Sultan vernehmen. »Aber gebt mir, um Allahs Willen, endlich etwas gegen
diese Qualen!« Die Stimme des Padischahs wirkte seltsam dünn. Als
er sich von einem Pagen gestützt in die Höhe stemmte, um
den Trunk entgegenzunehmen, zerstob auch der letzte Rest Bewunderung
in Sapphira wie eine Wolke aus Kreidepulver. Mit kurzen Schlucken
leerte der Sultan das Glas und sank zurück in die Kissen. »Ihr
wartet hier!«, raunzte ein hochrangiger Offizier, bei dem es
sich offensichtlich um den Agha – den Oberbefehlshaber der Janitscharen – handelte, die
Frauen an. »Wenn sich sein Zustand verschlechtert, werdet Ihr
auf der Stelle hingerichtet!« Sapphiras Herz setzte einige
Schläge lang aus, bevor es mit solcher Gewalt wieder einsetzte,
dass sie fürchtete, es könne ihr die Brust sprengen. »Keine
Angst«, wisperte die Tabibe, die sich unauffällig
neben ihre Helferin geschoben hatte. »Uns wird nichts
geschehen.« Laut sagte sie: »Ich benötige kochendes
Wasser. Ein Tee aus Brennnessel und Blutwurz wird die Wirkung
unterstützen.« Nachdem der Agha seine Zustimmung signalisiert
hatte, rannte einer der halbwüchsigen Pagen, um das Geforderte
zu holen, und kehrte schon bald darauf mit einem bauchigen Zinngefäß
zurück. Schweigend mischte die Ärztin je eine Handvoll
Kräuter in das Wasser und ließ das dampfende Gebräu
eine Zeit lang ziehen. »Flößt ihm das ein«,
ordnete sie schließlich an, und innerlich vibrierend sah
Sapphira dabei zu, wie die Pagen ihrem Befehl Folge leisteten. Unter
gesenkten Lidern hervor warf sie alle paar Sekunden einen Blick auf
Bayezid, der schon bald in einen apathischen Zustand verfiel. Wie
lange würde es dauern, bis die Arznei Wirkung zeigte? Das schien
sich auch die Leibgarde des Sultans zu fragen. Denn je mehr Zeit
verstrich, desto bedrohlicher schloss sich der Kreis um die beiden
Frauen.
Kapitel 23
In
der Nähe von Trient, Frühsommer 1400
»Es
wäre besser, gleich umzukehren«, grollte Falk. »Die Mude können wir vergessen!« Mit einem mürrischen
Tritt in die Flanke trieb er das klapprige Maultier unter sich zu
einem lahmen Trab an, der jedoch schon bald wieder in den
schaukelnden Schritt überging, welcher drohte, ihm die Geduld zu
rauben. In dem breiten Tal unter ihnen schlängelte sich das
funkelnde Band der Etsch – lediglich
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