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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Denn
ansonsten konnte er es nicht wagen, auch nur in die Nähe einer
geweihten Reliquie zu kommen. Allein der Gedanke an den Zorn Gottes,
der auf ihn hinabfahren würde, ließ ihn einen Priester
herbeisehnen. Manchmal träumte er sogar davon, dass die Zähne
der Heiligen Apollonia sich in seine Brust gruben oder das Kreuz, an
dem der Heilige Andreas gestorben war, in Flammen aufging, weil Falk,
der Frevler, sich ihm genähert hatte. Er schluckte trocken, als
andere, mühsam verdrängte Bilder unversehens wieder
aufflammten. Bevor die Trauer um seine Eltern den Wall sprengen
konnte, den er darum errichtet hatte, lenkte er seine Gedanken
energisch auf das Ziel der Reise. Und tatsächlich gelang es
seiner Begeisterung für die kostbaren Vollblüter, den
dumpfen Schmerz in Zaum zu halten. Während die Klaue, die sein
Herz umfing, sich allmählich wieder lockerte, stellte er sich
das glänzende Fell und den eleganten Schwung eines schneeweißen
Hengstes vor, der mit erhobenem Schweif über eine seiner Koppeln
in Ulm trabte. Wie es wohl sein würde, nicht nur eines der
vollkommenen Tiere, sondern gleich mehrere davon sein eigen zu
nennen? Schon als Kind hatte es für ihn nichts Schöneres,
nichts Wunderbareres gegeben als Pferde. Stundenlang hatte er bereits
als Fünfjähriger seinem Vater dabei zugesehen, wie dieser
die Zwei- und Dreijährigen zugeritten hatte und darum gebettelt,
von ihm in den Sattel gehoben zu werden. Seine Augen wurden feucht,
und er wischte sich verstohlen mit dem Handrücken über das
Gesicht. Er musste aufhören, in die Vergangenheit zu blicken!
Die Zukunft war das, was zählte; und wenn es ihm gelang, seinen
Traum zu verwirklichen, dann konnte er seinen Eltern eine Kapelle
stiften, in der zahllose Gläubige für sie bitten würden.
        Er
wandte sich mit einem Ruck von der Reling ab und steuerte auf Otto
zu, um diesem die Hand zu reichen und ihm auf die Beine zu helfen.
»Bald ist es überstanden«, ermunterte er den Ritter
– froh darüber, sich mit den Problemen eines anderen
ablenken zu können. »Das glaube ich erst, wenn dieses
verdammte Schiff endlich in einem Hafen liegt«, stieß
sein Onkel gequält hervor. Als die Kogge mit einem Ruck nach
Backbord abdrehte, verzerrte sich sein Mund zu einer schmalen Linie.
»Die Straße von Otranto haben wir hinter uns«,
sagte Falk und verfolgte mit halbem Auge, wie sich das Segel über
ihnen mit der Richtungsänderung etwas mehr füllte. »Der
Kapitän meinte, dass wir bald vor Anker gehen. Hier gibt es
anscheinend haufenweise kleine Inseln.« Ein halbherziges
Flattern verriet, dass der Wind sich bereits wieder legte. »Wenn
sich das Wetter nicht ändert, kommen wir ohnehin nicht viel
weiter.« Mit einem Grunzen hangelte Otto sich wackelig an der
Bordwand entlang, bis sie das Achternkastell erreicht hatten, in dem
nicht nur die Armbrustschützen, sondern – unter Deck –
auch die Passagiere untergebracht waren. Wie das Bugkastell war auch
dieser Aufbau mit Schießscharten versehen, durch welche die
Männer auf alles zielen konnten, was sich unerlaubt näherte.
Da der Laderaum bis obenhin mit Kisten, Fässern und Ballen
vollgestopft war, war die Besatzung auf engstem Raum
zusammengepfercht. Aber Falk und Otto war eine relativ geräumige
Kajüte zugewiesen worden. »Ich werde mich ein wenig
hinlegen«, murmelte Otto, dessen Gesichtsfarbe inzwischen ins
Grünliche spielte. »Vielleicht hat Gott ein Einsehen und
lässt uns auf Grund laufen.« Kopfschüttelnd blickte
Falk ihm nach und machte sich zurück auf den Weg an Deck. Dort
beschäftigte er sich die nächsten Stunden damit, eine
kleine Schnitzarbeit, die er während der Reise über die
Alpen begonnen hatte, zu vervollkommnen. Das weiche Birnenholz hatte
bereits die Gestalt eines Pferdekopfes angenommen, doch Falk war noch
lange nicht zufrieden damit. Warum ließ sich das Schütteln
einer Mähne nicht so darstellen, wie er es sich vorstellte? Und
wie konnte er den Eindruck vermitteln, dass die Stute wieherte? Als
der Ausguck gegen Abend endlich Land verkündete, stopfte er das
kleine Kunstwerk in die Tasche zurück und rappelte sich auf, um
wie die anderen Männer nach Steuerbord zu laufen und an den
Horizont zu starren.
        In
weiter Ferne tauchten allmählich die flimmernden Umrisse einer
Insel auf, deren felsige Küste sich schon bald von dem
glitzernden Wasser abhob. Schroff und abweisend stieg eine steile
Kalksteinwand aus den Wogen auf, und je näher die Kogge den
Klippen kam, desto

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