Die Heilerin des Sultans
Sultan Bayezid Khan, der auf einem tänzelnden,
mitternachtsschwarzen Hengst eine imposante Figur machte. Wenngleich
der junge Prinz an seiner Seite beinahe ebenso prachtvoll gekleidet
war wie sein Vater, verblasste er vor dem Glanz des Sultans zur
Unscheinbarkeit. Entgegen der Enttäuschung, die Sapphira noch
vor Kurzem aller Illusionen beraubt hatte, spürte sie, wie ihr
Herzschlag sich bei seinem Anblick beschleunigte. Der Löwe war
zurück, und mit ihm der Eindruck der Vollkommenheit! Sie
ertappte sich dabei, wie sie sich einreden wollte, das Zwischenspiel
auf dem Krankenlager habe niemals stattgefunden. Wie konnte solch ein
Mann, solch eine kraftstrotzende Naturgewalt sich unlängst noch
gebärdet haben wie ein launischer Knabe? Da mit der Bewunderung
auch der überwältigende Wunsch nach seiner Nähe
zurückkehrte, wurde ihr Blick beinahe magisch von der Sänfte
angezogen, die – von vier Sklaven umringt – zu Füßen
seines Reittieres darauf wartete, aufgenommen zu werden. Und die
Eifersucht flammte mit solcher Macht in ihr auf, dass sie scharf die
Luft einsog.
Froh,
dass Gülbahar in ihren eigenen Gedanken gefangen war, grub sie
die Fingernägel in die Handflächen und versuchte, ihr Blut
wieder zur Ruhe zu bringen. Jeder wusste doch, dass der Sultan seiner
Gemahlin Maria Olivera Despina verfallen war; so sehr verfallen, dass
er alle Regeln missachtete und sein Bett mit ihr teilte. Denn Klatsch
und, vor allem, die damit einhergehende Missgunst verbreiteten sich
im Harem schneller
als ein Lauffeuer. Mehr als eine Schülerin der Valide hatte bereits die Hoffnung
aufgegeben, jemals die Aufmerksamkeit des Padischahs zu erregen, und selbst der
Mutter des mächtigen Herrschers war die Abscheu gegenüber
Olivera Despina deutlich anzusehen. Da diese Überlegungen die
verheilt geglaubte Wunde in Sapphiras Herz wieder aufrissen, lenkte
sie schleunigst die Aufmerksamkeit auf etwas anderes und begann, die
Janitscharen-Ortas zu zählen. Bereits nach knapp drei Dutzend
verlor sie allerdings den Überblick, da die Banner der
Fußtruppen sich mit den Fahnen der Kavallerie und der
Artillerie vermischten. Roter Stoff mit weißem Halbmond
flatterte ebenso im Ostwind wie weiße Seide, die Sonnen,
Sterne, doppelschneidige Dolche und die Hand der Fatima – eine
Handfläche, in der ein weit aufgerissenes Auge prangte –
zierten. Sie sollte die Truppen vor den Dschinni, den überall vorhandenen
Geistern, beschützen. Als ob diese sich von einem Stück
Tuch foppen ließen! Mit einem Mal beklommen, erinnerte Sapphira
sich an die Worte eines Priesters in Smyrna, die sie seit ihrer
Kindheit verfolgten. »Der Einfluss der Dunklen Mächte ist
gewaltig!« Wenn die Tageszeit des Teufels angebrochen war,
hatte der Prediger die versammelten Gläubigen geängstigt,
konnten Dämonen in den menschlichen Körper eindringen und
ihm die Seele rauben. Das durchdringende Quäken eines
Blasinstrumentes beendete ihre Grübelei. Dankbar für die
Ablenkung, wischte sie die beunruhigenden Gedanken beiseite und
verfolgte, wie die Truppen in Habachtstellung gingen. Als sich kurz
darauf die leichte Kavallerie der Vorhut in Bewegung setzte, griff
die Anspannung auch auf sie über, und sie verfolgte beinahe
fiebrig, wie die rote Masse der Fußsoldaten mit einem Ruck
vorwärtsdrängte. Kurz darauf gab auch der Sultan seinem
Vollblut die Sporen und schwang das Krummschwert über dem Kopf.
Die
ersten Kompaniestandarten hatten bereits die äußerste
Ummauerung des Palastes passiert, als die glutrote Sonne hinter den
Wolken hervortrat und die Helme und Waffen aufleuchten ließ,
sodass der Eindruck entstand, der Himmel überspanne die Armee
des Sultans mit einer leuchtenden Kuppel. » Allāhu
akbar «, erklang die
Stimme des Imams hoch über ihren Köpfen, und augenblicklich
griffen die marschierenden Männer den Ruf auf. Begleitet von dem
immer schneller werdenden Rhythmus der Trommeln, vermischten sich die
heiseren Stimmen mit den lang gezogenen Kadenzen der Boru- Spieler.
Beinahe eine Stunde dauerte es, bis auch der letzte Mann den Palast
verlassen hatte; und obschon die Mehterhane- Kapelle
vermutlich noch lange zu hören sein würde, wirkte der Hof
mit einem Mal geradezu unheimlich still. Daran konnte nicht einmal
das aufgeregte Schwatzen der Frauen etwas ändern, die sich in
kleinen Grüppchen zurück in den innersten Bereich begaben,
um ihr Tagwerk zu beginnen. Mit einem leisen Seufzer riss auch
Sapphira sich von dem verwaisten Platz los
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