Die Heilerin - Roman
verächtlich, und Lanelle klappte den Mund zu. Offensichtlich wollte sie etwas sagen, fürchtete sich aber zu sehr.
Genau wie ich.
»Die verworrenen Erinnerungen Eurer Wachen bestätigen ihre Worte«, sagte Zertanik. »Denkt nur, was das bedeutet. Dieses Talent ist einzigartig.«
Der Erhabene schürzte die Lippen und starrte mich an, tippte mit einem langen Finger gemächlich auf die Armlehne seines Stuhls. Endlich wandte er sich an Lanelle.
»Danke, das ist alles«, sagte er.
»Herr?« Sie regte sich nicht. »Was ist mit meiner Beförderung?«
»Sprich mit Vinnot«, gab er höhnisch zurück. Ich hatte das Gefühl, Vinnot würde nicht mit ihnen davonsegeln, wenn der Erhabene und Zertanik die Flucht ergriffen. »Was weiß ich, was er dir versprochen hat.«
Lanelle sprang auf und lief rot an. »Aber ich habe tagelang in diesem schrecklichen Raum gearbeitet. Sie hätte mich beinahe umgebracht! Vinnot hat mir gesagt, wenn ich Informationen über sie liefere, bekomme ich meine vierte Litze!«
Ich schäumte, konnte aber nichts anderes tun, als sie böse anzustarren. Wie konnte sie nur? Jedes bisschen Schuld, das ich empfunden hatte, weil ich sie verletzt hatte, löste sich in nichts auf. Diese Verräterin.
»Das ist eine Angelegenheit zwischen dir und Vinnot.« Er deutete auf die Tür. »Nun geh. Oder muss ich erst die Wachen rufen und dich entfernen lassen?«
Nicht einmal Lanelle konnte diese Drohung entgehen. Sie warf mir noch einen letzten, hasserfüllten Blick zu und stürmte zur Tür hinaus.
»Nun gut, Merlaina«, sagte der Erhabene und richtete seine stechenden blauen Augen auf mich. »Reden wir über das Leeren von Pynvium.«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
I ch umklammerte die Armlehnen meines Sessels. Sie konnten nicht beweisen, dass ich es getan hatte. Lanelle war nicht glaubwürdig; ich konnte einfach behaupten, sie hätte gelogen. Besser noch, ich musste überhaupt nicht antworten. »Ihr wisst, dass die Lehrlinge geflohen sind. Jeder in Geveg weiß jetzt, dass Ihr die Leute belogen habt.«
»Nein, das weiß niemand«, sagte Zertanik, erhob sich und schenkte sich etwas aus einer blauen Kristallkaraffe ein. »Kaum hatten die Wachen euch auf dem Dach entdeckt, habe ich Jeatar beauftragt, die Ausgänge zu überwachen. Zweifellos hat er die eigensinnigen Lehrlinge längst wieder eingefangen.«
Dieser Unhold. Dieser Lügner. Jeatar hatte einen wirklich netten Eindruck gemacht, und nun hatte er Tali und die anderen in seiner Gewalt. Mein glühender Zorn wurde eisig.
»Ihr könnt nicht einfach alle Lehrlinge in einen Turm stecken und dort verrecken lassen und glauben, niemand würde etwas merken.«
»Aber niemand hat es gemerkt, meine Liebe, und es wird auch niemand merken.« Zertanik hob die Flasche und fragte den Erhabenen: »Etwas zu trinken?«
Der Erhabene schüttelte den Kopf.
Mir wurde nichts angeboten, nicht einmal eine lahme Ausrede. »Die Leute werden es erfahren. Hast du gedacht, ich wäre dumm genug hierherzukommen, ohne jemandem davon zu erzählen?« Ich ballte die Fäuste, wünschte, ich wäre nicht dumm genug gewesen, exakt das zu tun.
Er kicherte. »Dumm, nein. Kurzsichtig, ja. Ja, in der Tat.«
Es war alles umsonst. Ich hatte so schreckliche Dinge getan, und nichts hatte irgendetwas bewirkt. Mir kamen die Tränen, und sosehr ich es wollte, ich konnte sie nicht zurückhalten.
»Sei nicht so streng zu dir, meine Liebe.« Zertanik stand auf und begutachtete einen Teller mit Früchten und Gebäck, tat, als wäre dies sein Amtszimmer. Glaubte er, ihm gehöre alles und er könne alles kaufen, so wie er mich gekauft hatte? Den Erhabenen schien es nicht einmal zu interessieren, dass er sich hier so in den Vordergrund spielte ... Ich schniefte leise. Was ging hier eigentlich vor? Heiler taten sich niemals mit Schmerzhändlern zusammen. Für Heiler waren Schmerzhändler unter ihrer Würde, und nach allem, was ich wusste, hatten sie vollkommen recht.
Also warum ließ sich dieser Erhabene von einem Schmerzhändler herumkommandieren?
Der Erhabene saß nur schweigend da und beobachtete mich. Eine Hand tippte unentwegt auf die Armlehne, aber die andere hielt sie fest umklammert. Er war eindeutig nervös, und ich hätte gewettet, dass es dabei um mehr ging als nur darum, dass Vinnot ihm nicht gesagt hatte, was Lanelle erzählt hatte.
»Warum bin ich hier?«, fragte ich. Und was in Saeas Namen ging hier vor?
Offensichtlich unzufrieden mit der Auswahl der Speisen kehrte Zertanik mit seinem Getränk
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