Die Heilerin von Lübeck
nämlich für seine Rache an Euch.«
Adaliz schwieg, um Luft zu holen, und Taleke blieb vor Entsetzen stumm.
»Ihr sollt wissen, dass Josse mir von Eurem Gespräch über die Blattern und seine Schlussfolgerungen erzählt hat. Deswegen vermute ich, dass Euer Nicolaus dem Conde reinen Wein über ihre Entstehung eingeschenkt hat. Denn die Gautzelin muss angestiftet und bezahlt worden sein. Und das muss jemand erledigt haben, der Französisch spricht. Jedenfalls war alles gerade angezettelt worden, als der Conde sich den Arm brach. Aber nach dem Skandal um die kleine Isabelle spielten die Blattern keine Rolle mehr. Ich weiß nicht, ob Nicolaus nur aus verletzter Eitelkeit wegen Eurer Flucht gegen Euch vorgehen wollte – Ihr werdet es besser wissen. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn er bald aus Paris zurückkäme, um seinen Plan hier in die Tat umzusetzen. Ihr müsst auf Euch aufpassen!«
»Er ist schon da«, bemerkte Taleke. »Aber jetzt kümmern wir uns erst einmal um Euch.« Als sie Adaliz beim Umkleiden geholfen und ihr den heißen Wein eingeflößt hatte, fiel diese wie eine Tote ins Bett und schlief auf der Stelle ein.
Volrad Wittenborch bot auf dem Rückweg zu Mettekes Häuschen an, sich um den französischen Flüchtling zu kümmern. Im Übrigen fand Taleke ihn besorgniserregend schweigsam.
»Ich denke darüber nach, was wir noch tun können«, platzte er plötzlich heraus. »Nicolaus hat diese Rache an dir von langer Hand geplant und vorbereitet, wie wir jetzt wissen. Abwarten reicht nicht mehr, wir müssen uns aktiv wehren und der Anklage durch die Justiz zuvorkommen.«
»Wie denn?«
»Noch weiß ich es nicht.«
Zum Hausarrest verdammt und aufs höchste beunruhigt, überprüfte Taleke am nächsten Tag ein viertes und fünftes Mal ihre Kräutervorräte, als es klopfte. Neugierig humpelte Metteke zur Tür, bevor Taleke sie daran hindern konnte.
»Ich bin der Stadtarzt«, ertönte von Altkerkes tiefe, laute Stimme, »und ich soll nach Euch sehen.«
»Welche Ehre«, stammelte Metteke verwirrt, »aber ich habe schon eine Heilerin, und bezahlen kann ich Euch nicht.«
»Ich wurde bereits bezahlt. Lasst mich nur ein, Frau Metteke«, befahl er gedämpfter.
Metteke wagte keinen Widerspruch. Von Altkerke trat ein und wandte sich zuerst an sie. »Ich muss mich für mein Eindringen entschuldigen, ich weiß, dass Meisterin Taleke Euch bestens behandelt. Sie will mich jedoch dringend sprechen.« Dann sah er sich gründlich in der ärmlichen Behausung um. »Hier habt Ihr also Unterschlupf gefunden, Taleke. Es heißt, Ihr wärt aus Lübeck geflüchtet.«
»Metteke ist eine gute Frau«, sagte Taleke fest. »Ihr Haus ist ein besserer Zufluchtsort als Wälder, in denen die Männer des Bischofs abwechselnd Rehe und Frauen wildern.«
»Zweifellos. Worum geht es?«
»Um Blattern.«
»Natürlich.«
»Ich wollte Euch warnen. Ratsherr Cossebode hat seinen Sohn an Blattern verloren, die Nicolaus Puttfarcken aus Paris mitgebracht hat. Es gibt ein Verfahren, das die Römer erfunden haben, mit dem man Blattern von einem Menschen auf den anderen übertragen kann. Nicolaus hat hier in Lübeck einige Freunde gedungen, um die Blattern zu verbreiten. Der junge Cossebode gehörte zu dem Kreis von Verschwörern und wurde sein eigenes Opfer. Aus Nicolaus’ Sicht war es ein Unfall.«
»Ich verstehe«, sagte von Altkerke nach längerer Zeit.
»Die Zeit ist zu knapp, um Euch alles genau zu erläutern. Wichtig ist, dass Ihr auf die Angriffe vorbereitet seid, die Nicolaus’ Mutter sehr wahrscheinlich gegen Euch plant. Sie ist offenbar immer noch entschlossen, Euch zugunsten ihres Sohns als Stadtphysicus loszuwerden. Obwohl Nicolaus bereits jetzt als falscher Medicus den ersten Todesfall auf dem Gewissen hat.«
»Den zweiten auch. Der jüngste Sohn der Cossebodes starb heute Nacht.«
»Um Himmels willen! Könnt Ihr Euch nicht einschalten?«
»In dieser Familie wäre das möglich, denn ich glaube nicht, dass die Cossebodes Nicolaus noch trauen. Aber mir fehlt die Erfahrung in der Pflege von Blatternkranken. Ich kenne nur einen einzigen Menschen, der darüber verfügt.«
»Und der wäre?«, fragte Taleke neugierig.
»Eine gewisse Meisterin Taleke.«
»Ach. Aber das geht nicht«, wandte Taleke enttäuscht ein.
»Ich frage mich, ob es nicht doch geht. Es wäre eine kaum zu widerlegende Entkräftung der Vorwürfe, die gegen Euch vorgebracht werden.«
»Möglich. Aber wenn die Kinder trotzdem stürben, hätte ich
Weitere Kostenlose Bücher