Die Heilerin von Lübeck
Volrad, der sah, wie es in Taleke arbeitete. Taleke nickte. »Nun gut. Für uns könnte der Bürgermeister und Ratsherr Cossebode, der seinen Sohn verloren hat, möglicherweise hilfreich sein. Giovanni ist bereit, sofort gegen Nicolaus auszusagen. Dir ist er dankbar, dass du seinen Bruder gerettet hast. Er steht auf unserer Seite.«
Taleke lächelte hoffnungsvoll. »Vielleicht hilft uns das ja. Ich muss unbedingt mit Bertram von Altkerke reden, denn er ist derjenige, der in Ratsherrenkreisen bei Blattern hinzugezogen wird.«
Volrad gab ein Stöhnen von sich. »Leider nicht immer. Nicolaus hat seinen kranken Freund selbst behandelt.«
»Wie kann er nur! Er weiß doch, dass er die Kenntnisse eines Medicus nicht hat!«
»Tja. Seine Mutter preist ihn unermüdlich als denjenigen an, der die neuesten Behandlungsmethoden aus Paris mitgebracht hat, während von Altkerkes Wissen schon lange veraltet sei … Mit solchem Geschwätz überredet sie die Damen der Lübecker Gesellschaft, sagt Giovanni. Er hat es anlässlich einer kleinen Feierlichkeit seines Vaters für die Ratsfamilien selbst gehört. Ich habe ihm übrigens nicht mitgeteilt, dass Nicolaus kein Arzt ist.«
»Volrad, du musst Bertram von Altkerke bitten, mich irgendwo zu treffen. Weise ihn darauf hin, dass es für ihn wegen seines guten Leumunds gefährlich ist, aber es muss sein. Ich weiß keinen anderen Weg, ihn vor einer Falle, die vermutlich Nicolaus’ Mutter aufstellen wird, zu bewahren.«
»Ich gebe dir Bescheid«, versprach Volrad und gähnte, von den kurzen Nachtstunden allmählich genauso erschöpft wie Taleke. »Ich gehe nur noch kurz an deinem Haus vorbei, um mich zu vergewissern, dass Tideke und Rembert die Glut zuverlässig verwahrt haben.«
Taleke war gerade unter ihre Decke gekrochen, als an der Tür das eindringliche Alarmsignal ertönte, an das sie sich mittlerweile hatte gewöhnen müssen. »Mach auf, Taleke!«
Wittenborch drängte herein. »An deinem Feuer sitzt eine verängstigte Frau aus Paris, sie ist auf der Flucht, wenn ich sie richtig verstanden habe. Sie ist durchnässt, böse heruntergekommen und schlief ein, während ich noch mit ihr sprach.«
»Madame Adaliz etwa?«
»Ich glaube, ja. Sie war sehr durcheinander.«
»Ich komme.«
Wenige Augenblicke später huschten sie im Schatten der Mauern zu Talekes Haus. Im Garten bewegte sich etwas, und ein mahlendes Geräusch ertönte. »Ich versorge das Pferd«, sagte Wittenborch ruhig. »Kümmere du dich um die Madame.«
Adaliz schlief zusammengesunken auf dem Hocker. Taleke weckte sie so sanft, wie sie vermochte, aber Adaliz schrak hoch und brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, wer vor ihr stand und dass keine Gefahr drohte.
Taleke kniete sich neben sie und nahm Adaliz’ kalte Hände in ihre warmen. »Was ist geschehen?«
»Sie haben Josse gehängt. Und ich wäre die Nächste gewesen. Zum Schluss wusste ich als Zufluchtsort nur noch Lübeck, vorher habe ich mich bei Verwandten versteckt«, schluchzte Adaliz. »Schließlich habe ich mich zu Eurem Haus durchgefragt, es tut mir leid, Euch zu behelligen.«
»Davon kann gar keine Rede sein«, widersprach Taleke vehement und nahm sie tröstend in den Arm. »Ihr könnt selbstverständlich hierbleiben. Als Erstes braucht Ihr trockene Kleider, einen Würzwein und etwas zu essen. Und ein warmes Bett habe ich auch.«
»Danke. Meine Stute …«
»Um die kümmert sich schon der Schiffer Wittenborch. Er war es, der mich geholt hat. Eure und meine Stute können sich im Stall auf Französisch unterhalten.«
»Manche Menschen würden dazu Blasphemie sagen«, stammelte Adaliz fröstelnd. »Ich freue mich, dass Ihr sie behalten konntet.«
»Selbstverständlich. Man verkauft niemanden, der einem die Flucht ermöglicht hat.«
Adaliz’ Zähne klapperten aufeinander, aber sie brachte es fertig, flüchtig zu schmunzeln. »Ihr habt meinen Brief bekommen?«
Taleke nickte, fachte die Glut an und legte Holz nach.
»Ich habe seitdem noch einiges herausgefunden, das Euch interessieren wird. De Craon war einstmals mit dem Kardinal in Sodomie verbunden, bevor sich dieser in die vornehmen Knaben verliebte, die ihm leicht zugänglich waren. Wegen Josses Verwicklung in die Angelegenheit hasste de Craon meinen Bruder. Seit geraumer Zeit ist jedoch Euer Nicolaus sein Favorit, und der hat dem Conde alles zugetragen, was der für eine Anklage gegen Josse brauchte. Gleichzeitig plante Nicolaus wohl, den Conde für seine eigenen Zwecke zu benutzen,
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