Die Heilerin von Lübeck
Fabianus der Töpfer hat mich höchstselbst davor gerettet, zertrampelt zu werden.«
»Siehst du?«, meinte Volrad. »Wenn du darüber nachdenkst, fällt dir vielleicht noch mehr ein, was Nicolaus dir angetan hat.«
»Meisterin, ich möchte dazu auch etwas sagen«, meldete sich Tideke plötzlich. »Ich wurde nicht gestochen. Nie. Erstens, und zweitens …«
»Sicher?«, unterbrach Taleke ihn.
»Ganz sicher.«
»Dann kann Nicolaus an deinen Blattern keinen Anteil haben«, stellte Taleke fest. »Dann ist die Wolldecke die einzige Spur, die von Neses Krankenbett zu deinem führt. Tun wir Nicolaus am Ende unrecht?« Sie verfiel in grüblerisches Nachdenken.
»Und zweitens, Tideke?«, fragte Volrad.
»Ist die Meisterin sicher, dass ihr niemand mehr folgt?«
»Taleke, Meisterin?« Wittenborch legte seine Hand auf ihren Arm.
Sie sah auf. »Ja. Ja, ich bin sicher.«
»Dann hat dieser Nicolaus den Anschlag auf die Meisterin doch wahrscheinlich abgeblasen, weil er einen für sich günstigeren und ungefährlicheren Weg gefunden hat. Nicht wenige Kerle würden einen vom Stadtadel nämlich gegen ein gut gefülltes Beutelchen verraten. Das ist meine Meinung, Schiffer.«
Wittenborch sog scharf die Luft ein.
»Stimmt das?«, fragte Taleke beunruhigt.
»Tideke hat recht. Was könnte Nicolaus Besseres passieren, als dass sich die Justizbehörde deines Falles annimmt? Er musste nur dafür sorgen, dass böse Gerüchte über dich sich zum Verdacht der Gottlosigkeit und Zauberei verdichten und schließlich zur Anklage durch die Geschädigten führen, nämlich den Stadtrat und das Domkapitel.«
Taleke blieb stumm. Bei Licht besehen war in Paris das Gleiche passiert.
»Aber dann geht es nicht darum, dich nur aus der Stadt zu jagen«, fuhr der Schiffer erbarmungslos fort. »Diese geballte Macht will dich auf den Strafstuhl schicken. Der bedeutet Hinrichtung. Und der Herr des Strafstuhls ist Nicolaus’ Vater.«
Talekes erster Gedanke war, jetzt so schnell wie möglich aus Lübeck zu fliehen, da es ja auch Tideke besserging. Aber wie, bei stillgelegter Schifffahrt? Neses Stiefsohn hätte ihr mit seinem Fischerkahn helfen können, aber er war verschwunden. »Kennt ihr nicht jemanden, der mich aus der Stadt rudern könnte?«, fragte sie verzweifelt.
»Taleke, wenn es darum geht, dich vor das Hochgericht zu bringen, wird sich Nicolaus nicht damit begnügen, dass du die Stadt verlässt. Dann wird er dich suchen lassen durch alle, die seinem Vater und ihm selbst zu Gebote stehen.«
»Ihr seid hier im Bereich der Gruben sicherer, Meisterin«, fügte Tideke hinzu. »Die Gemeinschaft der Huren hat Euch gegenüber zwar dichtgehalten, was Godele betrifft, aber aus dem gleichen Grund würden sie auch Euch niemals der Obrigkeit ausliefern.«
Taleke sah Wittenborch fragend an. Der nickte. »Verlasst Euch auf Tidekes Urteil. Ihm sind die Bewohner der Lübecker Gruben vertraut. Und Ihr gehört zu ihnen.«
»Selbst die Männer, die Euch vor ein paar Tagen noch in Nicolaus’ Auftrag jagten, würden Euch eher beschützen, als Euch aus freiem Willen an die Stadt auszuliefern. Mordbuben sind Mordbuben, aber keine Verräter an Leuten, die in ihrer Mitte leben.«
Über dieses Vertrauen gegenüber gedungenen und offenbar nun von ihrem Auftrag abgezogenen Mördern musste Taleke nun doch lächeln.
»Ihr könnt mir glauben«, beteuerte Tideke. »Sie mögen verrucht sein und nach dem Tod besonders lange im Fegefeuer schmoren, aber sie haben ihre Ehrbegriffe und klopfen jedem aus ihren Kreisen, der sich nicht daran hält, energisch auf die Finger.«
Ein eindringliches Wummern ertönte von der Tür her.
»Nanu«, wunderte sich Volrad. »Erwartest du jemanden, Tideke?«
»Nein, Schiffer.«
»Schiffer, macht auf. Schnell!«, zischte es.
»Das ist Rembert.«
Volrad zog die Tür so weit auf, dass Rembert hineinschlüpfen konnte.
Rembert war außer Atem. »Schiffer Wittenborch, kennt Ihr einen Dschovanni oder so ähnlich? Dunkler Kerl, Bürger, Barett wie ein reicher Kaufmann. Der will Euch ganz dringend sprechen. Er wartet vor Eurem Haus und ist mir nicht gefolgt. Ich habe darauf geachtet.«
»Hoffentlich keine böse Botschaft«, sagte Wittenborch beunruhigt und warf sich bereits seinen Umhang über. »Du bleibst hier, Rembert, ja?«
»Aber sicher. Ich lasse mir die Gelegenheit, gewinnbringend mit einem Halbtoten zu würfeln, doch nicht entgehen.« Rembert grinste und warf eine Handvoll Würfel auf Tidekes Bett. »Aber sobald ich meine
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