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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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entwickelte sich daraus auf dem winzigen Platz ein ganz und gar unfranzösisches Gelage. Taleke fühlte sich fast wie zu Hause, auch dann noch, als sich einheimische, zweifellos leichtlebige Frauen dazugesellten. Jemand spendierte Wein; Käse, Oliven und Nüsse lagen zum Zugreifen auf grünen Blättern und in Körben.
    Auf einmal waren auch eine Sackpfeife und eine Flöte zur Stelle, ein Reigen formierte sich zu den Melodien, und im Nu wurde daraus ein französisches Fest, das immer mehr Anwohner anzog, vor allem Frauen, von denen die meisten Huren waren.
    »Komm, lille Täleke«, rief Knud ausgelassen, »lass uns tanzen.«
    Obwohl sie größer war als alle französischen Frauen, nannte Knud sie klein! Sie prustete los, aber ehe sie sich’s versah, hatte er sie bei der Hand genommen und zog sie in den Kreis der Tänzer. Sie hatte gerade noch die Geistesgegenwart, sich ihren Beutel mit den Münzen an den Leib zu binden.
    Noch nie im Leben hatte Taleke getanzt, aber der Rhythmus ging ihr in die Beine, als wollten sie sich selbständig machen, und lachend folgte sie ihren Befehlen.
    Dann löste sich der Reigen auf, und Paare bildeten sich, eine frivole Tanzweise, die im Holsteinischen nicht üblich war. Aber Taleke gefiel sie. Das Anschmiegen an einen kräftigen männlichen Körper, Knuds warmer Atem, der ihr Gesicht streifte, das Umherwirbeln, als seien sie ein einziges Lebewesen, all das waren unbekannte, heimliche Genüsse, die Sehnsucht in ihr weckten, wenn sie nur gewusst hätte, wonach. Es war jedenfalls das schönste und lustigste Fest, das sie jemals erlebt hatte.
    Mitten im Paartanz packte eine kräftige Hand Talekes Oberarm. Bestürzt blickte sie um sich und entdeckte Nicolaus, der jetzt doch eigentlich in Meister Josses Bezirk auf der anderen Seineseite hätte sein sollen.
    »Was machst du hier?«, fauchte er.
    »Ich verkaufe Gänse.«
    »Ja, das sehe ich!«
    »Maître, wie auch immer Ihr heißt«, warf Knud in deutscher Sprache begütigend ein, »hier geschieht nichts Sündiges, nichts, das Euch beunruhigen müsste. Ein harmloses kleines Straßenfest, wie es unter französischen Nachbarn üblich ist. Keiner stiehlt Euch Eure Braut.«
    »Das möchte ich auch niemandem geraten haben«, schnaubte Nicolaus. »Wenn ich Euch noch einmal dabei erwische, dass Ihr Hand an sie legt, gnade Euch Gott!«
    »Nicolaus!«, rief Taleke entsetzt. »Hör doch mal zu! Die hungrigen Scholaren haben meine Gans bis auf den letzten Krümel aufgekauft und verzehrt, und auf einmal hat sich daraus ein fröhliches Beisammensein ergeben.«
    »Ich dulde nicht, dass du an solchen Festen teilnimmst«, knurrte Nicolaus und zerrte sie mit sich. »Du gehörst an meine Seite, oder du bleibst in der Wohnung!«
    »Halt!«, kreischte Taleke. »Mein Öfchen!«
    Wenigstens so viel Vernunft war Nicolaus geblieben, dass er Taleke den Ofen und den Korb holen ließ. Beladen mit beidem, fühlte sie sich vorwärtsgeschoben wie ein Rindvieh, und Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen.
    Hinter Taleke verklang die Tanzweise. Am längsten hörte sie noch die Sackpfeife, bis auch die unter dem Rattern der bäuerlichen Karren, die Paris abends verließen, unterging.
     
    »Wie kannst du dich den Männern so anbieten?«, blaffte Nicolaus, als sie in ihrem eigenen Viertel auf der anderen Seite des Flusses angekommen waren, wo kein Däne ihn hören konnte. »Merkst du nicht, dass du dich wie eine heimliche Hure benimmst?«
    »Was wirfst du mir vor? Ich biete Gänse an, nicht mich!«, schrie Taleke außer sich.
    »Sch! Untersteh dich, so herumzubrüllen, Taleke! Ich habe an meinen Ruf zu denken! Ein guter Ruf ist unabdingbar für das Geschäft.«
    Taleke war einen Augenblick verwirrt und ließ sich ablenken. »Was für ein Ruf?«
    »Der Ruf des Chirurgen.«
    »Du bist doch gar kein Chirurg. Du bist ein Lehrling im vierten Monat.«
    Nicolaus setzte ein Grinsen auf, das Überlegenheit signalisierte, und zwinkerte Taleke plötzlich gutgelaunt zu. »Andere sehen das anders.«
    »Soll das heißen, dass du als Chirurg schon auf eigene Rechnung arbeitest?« Taleke konnte kaum glauben, was er sagte.
    Nicolaus zuckte die Schultern. »Gelegentlich. Wer ließe sich denn eine kleine Handreichung entgehen, wenn er gefragt wird? Für die Betroffenen ist es preiswerter, und der Erfolg ist der gleiche.«
    »Du hintergehst deinen Lehrherrn. Maître Josse wird sich das unmöglich gefallen lassen.«
    »Maître Josse! Der bildet sich viel ein auf seine Kunst, und entsprechend sind

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