Die Heilerin von Lübeck
glaubst du denn zu haben?«, fragte Nicolaus höhnisch. »Du giltst hier als die Hure, die ich nach Paris mitgebracht habe und die sich mal der Gänsebraterei widmet, mal der Hebammentätigkeit und zwischendurch Kranken konfuse Ratschläge erteilt. Meine Freunde machen sich manchmal über meinen schlechten Geschmack lustig, und dann versuche ich, dich zu verteidigen. Verstehst du«, brüllte er plötzlich, »ich muss dich in Schutz nehmen!«
Taleke blieben sämtliche Worte des Widerspruchs im Halse stecken. Verteidigung? Warum klärte er die Freunde denn nicht einfach auf?
In der plötzlichen Stille hörten sie schwere Männerfüße die Treppe hochtrampeln. Die Tür schlug auf. »Ruhe bewahren!«, donnerte eine Stimme.
Zwei Männer drängten zur Tür herein und füllten das Zimmer allein mit ihrer Autorität. Der Stämmigere der beiden zerrte Nicolaus, der in Panik versuchte, aus dem Fenster zu entkommen, am Bein zurück. »Wohin willst du denn«, brüllte er ihm ins Gesicht. »Du bist nicht der Täter, sondern der Zeuge!«
»Ja?«, hauchte Nicolaus ungläubig, jedoch mit einem Anflug von Hoffnung.
»Gut gemacht, Pépin! Die da wollen wir«, sagte der Anführer und zeigte auf Taleke, die auf ihrem Hocker kauerte. »Sie ist doch das Weib, das Verleumdungen streut! Ich bin Maréchal Nouel, Leiter der Maréchaux rechts der Seine. Ich bin beauftragt, dich zu verhaften.« Er zog eine Stoffplakette aus seinem Gewand, deren Stickerei eine aus einer Wolke kommende Hand zeigte, und ließ sie blitzschnell wieder verschwinden.
Nicolaus wurde blass. »Verleumdungen? Könnte sein, dass sie es ist«, gab er vage zu.
»Ich verleumde niemanden! Gegen wen soll ich denn Verleumdungen ausgesprochen haben?« Taleke wusste, dass es sich nur um einen Irrtum handeln konnte.
»Das wird bei deinem Prozess zur Sprache kommen«, gab Maréchal Nouel hochmütig zurück. »Ich kann dir nur ein Stichwort nennen. Es geht um eine gewisse Aveline.«
Aveline. Furcht umklammerte Talekes Herz mit eiserner Hand. Aveline, der sie empfohlen hatte, sich das Apothekerbuch vorlegen zu lassen, damit sie eine Salbe ohne Giftbeimengung erhielt? Hatte Aveline sie falsch verstanden? Sie selbst hatte das Beste gewollt, keineswegs hatte sie einen Apotheker anklagen wollen, zumal sie ja gar keinen bestimmten erwähnt hatte.
Nouel grinste, als ob ihm eben ein Einfall gekommen wäre. »Außerdem arbeitest du der Hebamme Cateline zu, die schon lange im Ruf gewisser gottloser Tätigkeiten steht. Du engelst für sie, stimmt’s?«, brüllte er Taleke plötzlich an.
Taleke duckte sich eingeschüchtert.
»Maître Nicolaus, habt Ihr jemals bemerkt, dass diese Hure Kinder engelt?«, insistierte Nouel streng.
»Gesehen habe ich es selbst nicht«, antwortete Nicolaus bedächtig. »Allerdings, wenn ich mit meinem Lehrherrn, dem bekannten Maître Josse, von morgens bis in die Nacht unterwegs bin, ist das Weib Taleke ohne Aufsicht.«
»Ihr hättet sie unter Kontrolle halten müssen. Ihre falsche Anschuldigung untergräbt den Ruf des Apothekers, auch wenn sie nur eine Fremde ist. Und dass sie sich mit der zwielichtigen Cateline zusammengetan hat, unterstreicht den Verdacht gegen sie.«
»Das verstehe ich.«
»Eure Einsicht spricht dafür, dass Ihr nichts gewusst habt. Wir nehmen nur die Frau mit.«
Nicolaus nickte, äußerlich gefasst, wie es schien, aber Taleke sah Genugtuung in seinen Augen aufblitzen. Ihr schauderte.
Kapitel 15
Die Maréchaux hatten das Weib kaum im Gefängnis Grand Châtelet abgeliefert, als Nouel seinen Plan weiterspann. »Dieser Nicolaus wäre auch ein prächtiger Kandidat für eine Verhaftung als Sodomit, so wie der sich gibt. Entweder ist er auf den Mund gefallen oder dumm! Außerdem ist er ein Feigling! Unter der Folter würde er uns sofort die Namen von anderen nennen.«
»Dann lass uns doch morgen nach der Sext …«
Maréchal Nouel winkte ab. »Es kommt nicht in Frage. Ein Fremder mit dem Aussehen ist als Gefährte geeignet für jeden Kardinal. Das Eisen ist mir zu heiß. Verstehst du?«
»Ah, ja.« Pépins Gesicht verzog sich zu einer bewundernden Grimasse, der Nouel entnahm, dass sein Untergebener tatsächlich einmal verstanden hatte.
»Dabei sind fremde Lehrlinge bestens für unsere Zwecke brauchbar«, beschwerte sich Nouel, über die verpasste Gelegenheit ein wenig verärgert. »Sie sind wie geschaffen für eine Anklage, egal, wegen was. Im Vergleich zu ihnen sind die fremden Scholaren viel schwerer zu belangen. Die
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