Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
von den vieren heute Nacht die Herrschaft übernommen hatte. Warum sollte sie diese vierbeinigen Bestien retten? Oder den heiligen Markus, der in der Kirche in einer Decke aus Schweinefleisch ruhte und dessen Fest die Bürger heute feierten? Sollte er doch darin braten wie eine Festmahlspeise. Aber sie hielt nicht mit dem erbarmungslosen Entgegennehmen und Weiterreichen der Eimer inne und verlangsamte ihren Rhythmus nie.
Gegen Morgen gewannen sie die Oberhand. Nachdem es ein großes schwarzes Stück aus dem Palast herausgebissen hatte, schien das gierige Feuer zufrieden zu sein und erstarb zu ein paar Flammenbüscheln. Der Tempel und seine ihn bewachenden Pferde wurden von Rauch umwabert, waren aber in Sicherheit. Als sich der Himmel silbrig verfärbte, ging die Sonne über einer anderen Welt auf. Alles war schwarz – der Palast, die Bürger, und sogar vom Himmel regnete es rußige Asche. Die in der Asche herumwirbelnden Rosenblätter des heiligen Markus bildeten die einzigen Farbflecke.
Feyra ließ ihren Eimer fallen und taumelte zu der Ecke der Kirche. Die Männermenge löste sich auf. Sie suchte fieberhaft nach Annibale und sah ihn endlich an der Ecke der Basilika lehnen. Er krümmte sich vor Husten, und sein Gesicht war so braunrot wie der Stein. Sie zog ihn mit sich, drückte ihn auf eine umgestürzte Säule nieder und beobachtete ihn scharf, während er nach Atem rang. Während seiner gesamten Arzttätigkeit hatte er stets sein Gesicht bedeckt, und jetzt war er nicht nur den giftigen Ausdünstungen der Stadt, sondern auch dem dichten Rauch schutzlos ausgesetzt. Das Feuer war gelöscht, der Doge sicher, wie sie hoffte, und Takat tot. Es war Zeit für sie zu gehen. Sie hielt ihm ihre Hand hin. »Lass uns nach Hause fahren«, sagte sie.
Annibale keuchte noch immer und war unfähig, einen Ton herauszubringen. Er hatte sich kaum erhoben, als ein Mann, der einen Rauchschweif hinter sich herzog wie ein Komet, von der Riva degli Schiavoni her um die Ecke gestürzt kam und schwer atmend vor dem hoch gewachsenen Eremiten stehen blieb. Der alte Mann sprach ihn an.
»Tommaso.« Er legte seine lange Hand auf die sich hebende und senkende Schulter des Mannes. »Beruhige dich. Das Feuer ist besiegt, wir haben die Stadt gerettet.«
»Eben nicht«, versetzte der Mann in der rußgeschwärzten Livree. »Das Feuer hat auf die Piombi übergegriffen, und die Gefangenen sind alle in ihren Zellen geschmort worden wie Truthähne im forno, und der Brand breitet sich jetzt entlang des unteren Ufers zur Merceria aus.«
»Die Rialtobrücke!« Der Eremit eilte davon, und die, die noch die Kraft dazu hatten, folgten ihm.
Feyra drehte sich zu Annibale um. »Palladio!«, entfuhr es ihr.
Sie liefen der Menge hinterher an der Basilika vorbei. Feyra blickte einmal mehr zu den bronzenen Pferden auf. Die vier glühten wie in einem Schmiedeofen erhitzt, trommelten mit den Hufen und sperrten die roten Mäuler auf, als wäre die Basilika ein vergoldeter Streitwagen, den sie mit all ihrer Kraft zogen. Ihr Tempel war vom Feuer verschont geblieben. Die Pferde hatten beschützt, was ihnen gehörte.
Sie wandte sich ab und war entschlossen, ihrerseits den Architekten zu beschützen, dessen Haus am Campo Fava im Weg der Flammen lag. Sie rannten vor der sich ausbreitenden Feuersbrunst her über den Markt, der wegen des Festtages von mehr Händlern besucht worden war als sonst. Feyra drehte sich kurz um und stellte fest, dass die Stände hinter ihnen lichterloh brannten. Die Waren der Glasbläser knackten und zerbarsten in der Hitze und spien winzige Juwelen bunten Glases auf das Pflaster.
Bevor sie die alte Brücke erreichten, lösten sie und Annibale sich aus der Menge und hasteten zu dem kleinen Platz mit dem Haus mit dem goldenen Zirkel über der Tür. Das Leichentuch aus Rauch folgte ihnen wie ein unheilvoller Schatten. Feyra hämmerte an die Tür, und als die Köchin erschien, sprach sie an Annibales Stelle, weil sie sah, dass er immer noch nach Atem rang.
»Corona Cucina«, sagte sie. »Alarmiere jeden im Haus und bring alle in Sicherheit. Ein großes Feuer ist ausgebrochen, und es zieht in diese Richtung.« Sie hob eine Hand, um einen Schwall von Fragen seitens der Köchin abzuwehren. »Ist dein Herr da?«
»Ja, und Zabato auch.«
Feyra drängte sich an ihr vorbei und ging direkt in das ihr so vertraute Studierzimmer. Dort fand sie Palladio vor, der sich in gewohnter Manier mit Zabato über seine Zeichnungen beugte. So oft hatte sie die
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