Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Dukaten über das Feuer hinweg in seine missgestaltete Hand. Er passte kaum in seine Handfläche. Seine Augen wurden so rund wie die Münze.
»Warum … gibst du … das?«
»Weil ich mich um dich kümmern möchte. Komm heute Abend zu mir, ich werde einen speziellen Trank für dich zubereiten, damit du gesund bleibst.«
Sowie er allein im Torhaus war, drehte Salve den Dukaten in der Hand. Er drückte ihn an die Lippen, während Feyras Worte in seinem verformten Kopf widerhallten.
Als Feyra an diesem Abend die Tür ihres Hauses öffnete, rechnete sie mit Annibale. Sie hatte vergessen, dass sie Salve eingeladen hatte, und musste den Blick senken, um ihren Besucher sehen zu können.
Sie bat ihn freundlich herein. Seit er nach ihrer Ankunft auf der Insel die notwendigen Reparaturen ausgeführt hatte, war er nicht mehr in ihrem Haus gewesen. Er blickte sich abschätzend um, um zu sehen, ob er gute Arbeit geleistet hatte, und ihr ging plötzlich auf, dass sie ihm seither eine schlechte Freundin gewesen war. Sie forderte ihn auf, sich zu setzen. Er blieb stehen.
»Du hast gesagt … um mich kümmern.«
»Ja«, bestätigte sie. »Trink das.« Sie nahm die Flasche mit dem Trank vom Tisch, den sie an diesem Nachmittag von Schuldgefühlen geplagt mit besonderer Sorgfalt hergestellt hatte. Sie hielt die Phiole in die Höhe. »Es verhindert, dass du die Krankheit deines Vaters bekommst.«
Er nahm die Flasche entgegen, und ihre Finger berührten sich einen Moment lang. Die Phiole wirkte in seinen Händen übergroß, und er drehte sie nervös, als müsse er all seinen Mut zusammennehmen. »Du kümmerst dich um mich«, krächzte er, als würde er seinen Katechismus aufsagen.
Sie nickte bedächtig. »Ich kümmere mich um dich.«
»Was, wenn … ich mich um dich kümmere?«
Sie sah ihn an, und er erwiderte ihren Blick. Seine verschleierten, ungleichen Augen flackerten nicht. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie so trübblau waren wie die Lagune nach einem Sturm. Ganz langsam dämmerte ihr, dass sie gerade einen Antrag erhalten hatte.
Sie holte tief Atem und ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich danke dir, Salve, aber … lass es mich so sagen … ich meine, bist du überhaupt schon …?«
»Siebzehn.« Sein verformter Gaumen erschwerte es ihm, das Wort auszusprechen. Feyra bemühte sich, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sie hätte sein Alter nicht schätzen können. Seine Deformierungen ließen ihn jünger wirken, aber manchmal hatten ihre Gespräche und sein handwerkliches Geschick darauf hingedeutet, dass er wesentlich älter war.
Sie empfand plötzlich ein so starkes Mitleid mit ihm, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Heute Morgen hatte sie sich geirrt. Er war kein Kind. Er war ein Mann, ein in diesem verkümmerten Körper gefangener Mann. Sie dachte an die tausend kleinen Grausamkeiten, die sie ihm täglich zugefügt hatte, wenn sie ihn ungeduldig angefahren oder ihn gekränkt oder ignoriert hatte, da sie so in ihrem Kummer wegen Annibale gefangen gewesen war. Ihr war manchmal aufgefallen, dass Salve eine Vorliebe für sie hegte, aber sie hatte angenommen, er wolle so seine Dankbarkeit unter Beweis stellen, weil sie ihn vor Columbina Cason und ihrer bösen Zunge geschützt hatte.
Aber jetzt wusste sie, dass seine Gefühle tiefer gingen. Sie hatte immer gedacht, Salves Hass auf Annibale rühre von den Quälereien her, die er von der Mutter des Arztes hatte erdulden müssen, doch jetzt wurde ihr klar, dass sie auch in diesem Punkt unrecht gehabt hatte. Sie wollte ihn nicht auslachen oder ihn schroff zurückweisen. Vielleicht würde sie ihn nicht verletzen, wenn sie ihm ihr Geheimnis anvertraute.
»Es tut mir leid, Salve, aber ich kann nicht. Ich liebe einen anderen.«
Er wusste es bereits. »Du liebst Doktor.«
Sie bekannte sich zum ersten Mal offen zu der Wahrheit. »Ja.«
Und dann begriff sie, was für einen furchtbaren Fehler sie gemacht hatte. Sie hatte seinen Stolz nicht verletzen wollen und ihm stattdessen das Herz gebrochen. Statt ihn einfach nur zurückzuweisen, hatte sie ihm einen grausamen Spiegel vorgehalten, der ihm gezeigt hatte, wie er hätte sein können, wenn der Hirtenprophet ihm wohlgesonnen gewesen wäre. Und alles war so viel schlimmer, seit die Schnabelmaske im Feuer verbrannt war. Jetzt konnte er Annibales Gesicht sehen, konnte sehen, wie er nie sein würde.
Salve wandte sich ab, aber nicht, bevor sie den Schmerz in seinen Augen gelesen hatte, und verließ das Haus,
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