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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Spitzensilhouetten vor dem Hintergrund der topasfarbenen Flammen. Die weißen und roten Ziegel verfärbten sich ebenfalls rasch schwarz. Feyra war nie zuvor bewusst gewesen, wie laut Feuer sein konnte; dass Flammen lauter zu brüllen vermochten als ein Löwe, dass Holz kreischte, wenn es sich verzog und zerfiel, dass Glas quietschte, wenn es schmolz. Der auf eigenartige Weise schöne und zugleich furchtbare Anblick hypnotisierte sie, sie konnte den Blick nicht davon abwenden, obwohl die durch die Luft wirbelnde Asche in ihren Augen brannte. Sie konnte nichts tun, um dem Dogen zu helfen, obwohl sie gesehen hatte, wie der Camerlengo losgerannt war, um ihn zu retten. Es war die Stadt selbst, die jetzt in höchster Gefahr schwebte. Sie hätte sich abwenden und mit Annibale fliehen können, aber sie wusste, dass dies keinem von ihnen einfallen würde. Sie waren Heiler und Lebensretter, und das Inferno befahl ihnen laut, zu bleiben. In stummer Übereinkunft drängten sich Annibale und Feyra zum Rand der Lagune durch, um bei der Bekämpfung der Feuersbrunst zu helfen, und reihten sich in die rasch wachsende Eimerträgerkette ein.
    Die Löscharbeiten wurden bereits von einem hoch gewachsenen Mann mit weißem Haar und weißem Bart geleitet, dessen lange Gewänder zerfetzt, rußgeschwärzt und am Saum zerschlissen waren wie die eines Hausierers. Er hätte ein Priester oder Eremit sein können, aber er befehligte die Helfer wie ein General seine Armee, und wie ein guter General erteilte er nicht nur Befehle, sondern befand sich mitten im Getümmel und am dichtesten bei dem Feuer. Feyra folgte seinem ausgestreckten Arm, schob sich zwischen ihm und Annibale in die Reihe und half, Eimer mit Salzwasser weiterzureichen.
    In diesen Stunden, während derer ihre Armmuskeln zu schmerzen begannen und sich Blasen an ihren Händen bildeten, begann sie den Kameradschaftsgeist der Menschen zu bewundern, der sich in den Scharen von Venezianern ausdrückte, die aus allen Teilen der Stadt herbeigeströmt waren, um mit anzupacken. Als die Bemühungen, das Feuer einzudämmen, verstärkt wurden, wanderten nicht nur Eimer durch Feyras erschöpfte Hände, sondern auch Krüge, Nachttöpfe und sogar ein Kinderbadezuber. Das Feuer, das große Drama, das sich vor ihr abspielte, während der riesige weiße Palast brannte, schrumpfte jetzt auf diese einfachen Haushaltsbehältnisse zusammen, und durch die gesprungenen Krüge und Taufbecher mit dem eingravierten Namen ihrer Kinder darauf lernte sie diese Menschen kennen.
    Als die nicht enden wollende Nacht sich hinzog, schlief Feyra fast im Stehen ein. Ihr Gesicht brannte in der Hitze des tobenden Feuers. Die Schnabelmaske war schon lange verschwunden, verbrannt oder zertrampelt, oder sie wurde zum Wasserschöpfen benutzt, sie würde es nie erfahren. Das kalte Wasser, das aus den Eimern schwappte, hatte ihre Füße zu Eisblöcken erstarren lassen. Aber es sah so aus, als würde sich das Feuer allen Anstrengungen zum Trotz ausbreiten, und endlich wandte sich der weißhaarige General an die Menschenkette. »Das Feuer wird auf die Basilika übergreifen!«, donnerte er. »Wir müssen das Kontor abreißen! Zu mir, Männer! Bringt Hämmer und Rammböcke!«
    Von da an verlief die Nacht anders. Die Männer begannen wie entfesselt die antiken Mauern der alten Zecca, die Münzanstalt und das Kontor zu zerstören. Die alten Steine wurden unter ihren Händen niedergerissen, bis sich eine Bresche vom gelben Himmel abhob, eine Bresche, die das Feuer nicht überspringen konnte.
    Feyra hielt verzweifelt nach Annibale Ausschau und erblickte ihn ein- oder zweimal in der Masse der Männer, von Rauch eingehüllt und so schwarz im Gesicht wie ein Mohr. Sie warf ihren Umhang ab und leitete die Frauen in der Eimerkette an, die ihre Anstrengungen verdoppelten, um das Fehlen der Männer auszugleichen. Zwischen den Löscharbeiten versorgte sie auch noch Verletzungen, wo sie nur konnte: leichte Brandwunden, rauchvergiftete Lungen und einmal sogar die stark blutende Kopfwunde einer Frau, die von einer herabgefallenen Bleiglasscheibe getroffen worden war.
    Als sie sich wieder in die Kette einreihte, wurde sie sich der Ironie ihres Tuns bewusst. Sie kämpfte zusammen mit diesen Menschen darum, ihre große goldene Kirche zu retten, eine Kirche, auf deren Galerie die vier Bronzepferde im Feuerschein golden schimmerten. Als Feyra sah, wie sich die Tiere über den Flammen aufbäumten, wusste sie, dass dies ihr Werk war, dass das rote Pferd

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