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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Zungen herausgerissen hatte. Die Gewänder, die er trug, die Palastwände, die ihn umgaben, der Harem voller Frauen, die ihm jederzeit zur Verfügung standen. Und das Beste von allem – die Macht, das Leben eines Mannes zu beenden und von ihm zu erwarten, dass er sein Los akzeptierte. Was der Kapitän tat.
    Timurhan bin Yunus Murad war perfekt geeignet für diese Aufgabe. Niemand kannte die Meere besser als er, und als Lepanto-Veteran hatte er in dieser größten aller Seeschlachten genug Grausamkeiten gesehen, um Venedig und seinen Dogen zu hassen. Und er hatte nur einen Nachkommen; einen, den Murad nur zu gerne in seine persönliche Obhut nehmen würde.
    »Unser guter Doktor hat seinen Auftrag ausgeführt und von einem Tempel außerhalb der Stadt einen entsprechenden Kasten besorgt. Die weißen Eunuchen werden dafür sorgen, dass die Fracht um Mitternacht zum Dock geschafft wird. Du wirst mit einem der venezianischen Schiffe segeln, die wir bei Lepanto erbeutet haben. Es heißt Il Cavaliere.«
    Aus dem Tonfall des Sultans hätte man schließen können, dass er selbst dabei gewesen war. Tatsächlich war es aber Timurhan, der an der Schlacht teilgenommen hatte, in deren Verlauf diese spezielle Galeere erobert worden war. Der Reiter. Der Name hatte für Timurhan eine ebenso große Bedeutung wie für Murad. Der Sultan, der mit allen Einzelheiten der Geschichte seiner Mutter vertraut war, fand ihn erheiternd. Er mochte Zufälle und glückliche Fügungen – sie verliehen ihm das Gefühl, dass Gott auf seiner Seite stand. »Du bringst das Schiff nach Venedig und wartest.«
    Er erhob sich von seinem Thron, schritt geräuschlos über die Karte und zeichnete die Route des Schiffs mit seinen goldenen Pantoffeln nach. Als er die marmorne Darstellung von Venedig erreichte, stampfte er absichtlich über die ganze Stadt. Es gefiel ihm, sie mit seinen Füßen zu besudeln. »Wenn du die Mündung der Lagune erreichst«, er blieb an der entsprechenden Stelle stehen, »wartest du auf einen Sturm. Im Schutz eines Unwetters und an Bord eines venezianischen Schiffs hast du gute Chancen, an der Quarantäneinsel vorbeizukommen.« Er deutete auf eine kleine Landmasse, unter der Vigna Murada stand. »Dort werden sie dich, wenn sie dich fassen, vierzig Tage lang festhalten, und alles wäre verloren. Die Seeleute werden in Armenhäuser gesperrt und die Fracht abgewaschen und geräuchert, damit ihr kein Gift mehr anhaftet. Ich muss dir ja nicht sagen, dass unser Unternehmen zum Scheitern verurteilt ist, wenn das geschieht. Bring die Fracht stattdessen zum Markusbecken direkt vor dem Palast des Dogen. Genau hier«, er tippte mit der Spitze seines Pantoffels auf die Stelle, »wirst du deine Last abliefern.«
    Der Sultan wartete lange genug, um sicher zu sein, dass er keinen Widerspruch hören würde. Der Kapitän war ihm gehorsam gefolgt, dieser Schwächling. »Dann segelst du zur Leeseite dieser Insel, sie heißt Giudecca. Dort findest du ein sicheres Haus, hier, an dem Ort namens Santa Croce.« Der Sultan glaubte nicht, dass Timurhan die Bedeutung dieses heiligen Namens verstand, verschluckte aber trotzdem vorsichtshalber die Silben ein wenig. »Dort findest du Leute, die dir Unterkunft gewähren, dir helfen und dich mit Proviant versorgen. Dann kannst du sicher in die Türkei zurücksegeln.« Er brachte die Lüge glatt über die Lippen.
    Der Kapitän blickte stumm auf die Karte hinab. Der Sultan war daran gewöhnt, dass in seiner Gegenwart geschwiegen wurde, aber dieses Schweigen hielt so lange an, dass es ihn ärgerte. Dann ging ihm auf, dass dieser Mann, der häufig mit seinem Vater, aber noch nie zuvor mit ihm zu tun gehabt hatte, von seiner Macht und seiner Ausstrahlung eingeschüchtert wurde. Er freute sich darüber. Seine Mutter, mochten ihre Gebeine in der Hölle verrotten, behauptete immer, er sei das genaue Gegenteil seines Vaters. Natürlich fürchtete sich dieser Mann vor ihm. Er war nicht wie sein Vater Selim, ein schwacher Mann, gütig und barmherzig und ein Weichling. »Du darfst sprechen«, forderte er den Kapitän großzügig auf.
    Timurhan bin Yunus Murad fürchtete den Sultan ganz und gar nicht. Er hielt ihn für einen bösartigen jungen Gecken, nicht würdig, seinem Vater auch nur die Stiefel zu küssen. Er schwieg nur, weil er versuchte, diesen letzten Schlag zu verarbeiten, den das Schicksal ihm versetzt hatte.
    Timurhan war an Verluste gewöhnt. Er hatte eine Frau gefunden, die er liebte und die ihn liebte, und sie an

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