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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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stellte sich heraus, dass er sich vor mir fürchtete. Vor dem, woran ich litt. Es war die Pest.«
    Feyra lief ein Schauer über den Rücken. Sie wusste natürlich von dem furchtbaren Ausbruch der Pest in Konstantinopel im Jahr 747, die Tausende von Menschenleben gekostet hatte. Wie es aussah, war die Seuche, die jahrhundertelang geruht hatte, zurückgekehrt. »Der Schwarze Tod?«, flüsterte sie.
    »Pest, Schwarzer Tod … sie hat viele Namen. Obwohl ich viele Jahre lang nicht in der Stadt gewesen war, kannte ich die Geschichten. Und da wusste ich, dass ich verloren war. Der Arzt wusste es ebenfalls. Er gab mir ein Versprechen – Gold für meine Frau, Privilegien für meine Söhne, vorteilhafte Heirat für meine Tochter. Er schien alles über mich zu wissen. Er wusste auch, dass ich in Lepanto war.«
    Feyra beugte sich vor. Demnach kannte Tod die Meere so gut wie ihr Vater.
    »Er sagte mir, wenn ich in die Pläne des Sultans einwilligen würde, könnte ich unseren alten Feind im Alleingang besiegen. Er legte es so dar: Ich konnte entweder an diesem einsamen Ort in den Bergen sterben, und meine Familie würde auch weiterhin in Armut leben und nie von meinem Schicksal erfahren, oder ich konnte ein Held werden wie die in den Sagen, mein Name würde in den Schriften auftauchen und in Liedern besungen werden, während es meiner Familie an nichts fehlen würde. Im Grunde genommen lag die Entscheidung auf der Hand.«
    Feyra hörte ein dumpfes Geräusch und ein Rascheln im Sarg, als Tod sein Gewicht verlagerte.
    »Könntest du mir etwas Wasser geben? Mein Mund ist vom Sprechen trocken. Neben dir steht eine Kanne. Manchmal denken die Seeleute daran, sie zu füllen, manchmal nicht.«
    Feyra blickte nach unten und sah eine silberne Wasserkanne mit einer dünnen, gekrümmten Tülle – sie ähnelte den Krügen, die die Haremsdamen benutzten, um sich zu reinigen. Sie führte die Kanne an das Musselinstück und goss ein dünnes Rinnsal durch den Stoff. Die grässlichen Züge darunter konnte sie sich nur vorstellen, aber sie hörte das Schmatzen der Lippen, als Tod die Flüssigkeit aufsog.
    »Sie brachten mich in einer Sänfte den Hügel hinunter zu einem Eishaus in der Nähe der Bucht. Es dauerte lange, denn sie nahmen einen Weg, der weit von der Stadtmauer entfernt war. Ich sah den Arzt nie wieder, sondern wurde von einigen Männern des Sultans versorgt, die schwarze Livreen, schwarze Turbane und Gesichtsmasken trugen. Ich fand nie heraus, ob es sich um Soldaten oder um Priester handelte, denn sie sprachen nicht nur von ihrer Mission und ihrem Krieg, sondern auch vom Paradies und ihrem Opfer.«
    Es waren Janitscharen gewesen, die schwarz gekleideten, fanatischen Elitesoldaten des Sultans. Sie waren als Jungen ihren christlichen Heimen entrissen und zum wahren Glauben bekehrt worden und ihrem angenommenen Gott ergebener als diejenigen, die im Reich des Propheten geboren worden waren. Aber Feyra schwieg und ließ Tod weitersprechen.
    »Diese Soldaten legten mich in diesen Sarg, legten mir Wolle unter die Hüften, um meine Ausscheidungen aufzufangen, und getrocknetes Fleisch als Nahrung neben meine Hände und sagten, sie würden mir ab und zu Wasser geben. Diese Kiste ist groß, wie du siehst, und ich kann mich bewegen und mich umdrehen, aber ich will dir nicht verschweigen, wie groß mein Entsetzen war, als sie den Deckel über mir zunagelten. Ich dachte, nun wäre ich lebendig begraben, aber man teilte mir mit, dass ich mein Grab noch ein Mal verlassen würde. Wenn ich dann noch lebe, werde ich mich am Ende unserer Reise aus meinem Sarg erheben, mich unter die Menschen mischen und ihnen mein Geschenk zukommen lassen. In Venedig.« Er sprach den Namen der Stadt widerstrebend aus, fast so, als würde es ihm Schmerzen bereiten.
    Feyra hörte grimmig zu. Dies war die furchtbare Bestätigung von allem, was Nurbanu ihr mitzuteilen versucht hatte. Der Sultan musste in der Tat ein Monster sein, um einen so grausamen Plan zu ersinnen. Ihr wurde so übel, dass ihr der Mageninhalt in die Kehle stieg. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie unter moralischer Abscheu vor dem litt, was ein einzelner Mensch einer ganzen Stadt antun wollte, hätte sie angenommen, ihre Krankheit sei zurückgekehrt. Doch sie versuchte, keinerlei Anklage in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen. »Und wenn du nicht so lange lebst?«
    »Der Soldat sagte mir, dass mein Leichnam ins Wasser geworfen werden würde, wenn ich sterbe«, erhielt sie zur Antwort. »Und dann

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