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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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dass du hier bist, aber um meinetwillen freut es mich.«
    Feyra streckte eine Hand aus und legte sie in einer unfreiwilligen Geste des Mitleids auf den Zinn. Sie rechnete damit, dass sich das Metall kalt anfühlte, aber es war so warm, als würde ein Fieber darin toben.
    »Erzähl mir deine Geschichte.«
    »Zuerst muss ich dich etwas fragen. Bist du unserem geliebten Sultan Murad treu ergeben?«
    Feyra fielen tausend Antworten auf diese Frage ein. Er ist ein Mörder. Er ist mein Bruder. Er wollte mich zur Frau. Stattdessen wich sie auf eine Floskel aus. »Er ist das Licht meiner Augen und die Freude meines Herzens.«
    »Aber bist du loyal ? Denn ich kann dir nicht erzählen, was ich erzählen möchte, wenn ich das nicht weiß.«
    Tod schlug ihr ein Geschäft vor. Feyra hatte die persischen Sagen gelesen und kannte den Ablauf – ein Austausch geheimer Geschichten als Vertrauensbeweis. Eine gefangene Prinzessin musste mit ihrem Häscher um ihre Freiheit feilschen. Feyra hatte die Miniaturmalereien der Texte in der Topkapi-Bibliothek gesehen; eine dunkelhäutige Maid, die in Pluderhose im Schneidersitz dasaß und mit hoch erhobenen Händen und wie ein Fächer gespreizten Fingern mit einer monströsen Chimäre sprach.
    Obwohl sie noch nie von einem Mädchen gelesen hatte, das dieses Spiel mit dem Tod trieb, wusste Feyra, was von ihr erwartet wurde. Sie musste ihm ein Geheimnis verraten, bevor er ihr seines enthüllte. Als wäre all das Teil dieser unwirklichen Situation, nahm sie die formelle Haltung osmanischer Geschichtenerzähler ein und begann.
    »Am einundzwanzigsten Tag des Monats dhu’l-qa’dah des Jahres 982 begab es sich, dass ich zur Kira Nurbanus ernannt wurde, der Mutter unseres geliebten Sultans. Als der Vater unseres geliebten Sultans, Sultan Selim, starb – möge er im Licht des Paradieses wandeln –, befand sich unser Sultan Murad weit entfernt vom Palast in der Provinz Manisa, wo er Statthalter war. Meine Herrin Nurbanu, wohl wissend, dass seine eifersüchtigen Brüder versuchen würden, den Thron an sich zu reißen, nahm es auf sich, den Tod ihres Mannes zu verschleiern. Sie übertrug mir diese Aufgabe, und ich ließ in den Küchen ein Kunstwerk aus Eis anfertigen, einen gefrorenen Sarg, der so geformt war wie der, in dem du jetzt liegst, und so konnten wir sein totes Fleisch in der Sommerhitze konservieren. Im Lauf der nächsten Tage brachten wir ihn in seiner Sänfte zum Gebet, damit die Menschen ihn sahen, und sogar in den Hippodrom, wo er auf seinem goldenen Thron über die Wagenrennen präsidierte. Auf diese Weise erhielten wir den Eindruck aufrecht, dass er noch lebte. Zwölf Tage lang ruhte Selim in seinem eisigen Sarg, zwölf Tage länger, als Gott ihm in seinem natürlichen Leben zugestanden hatte, bis Murad nach Konstantinopel zurückkehrte. Nachdem Murad den osmanischen Thron bestiegen hatte, beanspruchte Nurbanu als Lohn für ihre Mühe den Titel Valide Sultan, und Selim wurde in einen silbernen Sarg gelegt und in der Sophia aufgebahrt, damit ihn alle sehen und betrauern konnten. Also könnte man sagen, ich hatte das Privileg, dazu beizutragen, den Thron unseres geliebten Sultans zu sichern. Dies habe ich noch keiner lebenden Seele erzählt.«
    Feyra wartete darauf, dass die eingetretene Stille endete. In der Tradition der Sagen wurde die Maid entweder in die Unterwelt geschleift, oder ihr wurde im Gegenzug eine andere Geschichte erzählt.
    »Am siebten Tag dieses Monats sibtambir dieses Jahres 983«, hörte sie mit einiger Erleichterung die Stimme aus dem Sarkophag beginnen, »gefiel es Gott, dass ich auf dem Heimweg von einer längeren Reise in den Bergen todkrank wurde. Nur ein Hirte war da, um mir zu helfen. Er legte mich auf eine Trage und zog mich zu einem Tempel auf einem Hügel, wo in der Heilkunst bewanderte Imame lebten. Sie warfen nur einen Blick auf mich, bevor sie mir eine eigene Kammer zuwiesen und mich zum Sterben zurückließen. Aber als ich aus meinem Fieber erwachte, stellte ich fest, dass ich vom Leibarzt des Sultans, von Haji Musa persönlich behandelt wurde.« Feyra zuckte zusammen, als sie den Namen ihres Mentors hörte. Auch die Befriedigung, die in der Stimme mitschwang, entging ihr nicht. Tod konnte, wie es schien, immer noch Stolz empfinden. »Er kam zu mir und fragte mich, ob ich mich auf eine sehr wichtige Mission für den Sultan begeben würde. Er hatte Angst, das sah ich in seinen Augen. Zuerst dachte ich, er würde sich vor dem Sultan fürchten, aber es

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