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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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schlingerte so heftig, dass es ihr gelang, den Sarg über den Boden zu schieben, wenn die Planken steil abfielen, und die Schulter gegen das Zinn zu pressen, um zu verhindern, dass der Sarg zurückrutschte, wenn die Bodenneigung gegen sie arbeitete.
    Schließlich erreichte sie ihr Ziel. Der Sarg stand an der Tür in der Seitenwand. Als Nächstes griff sie nach einem zusammengerollten Seil und schlang es sich um das Handgelenk, um nicht über Bord gerissen zu werden. Dann schob sie den Riegel zurück und stieß die Doppeltür auf.
    Die beiden Türhälften flogen augenblicklich wieder zu und schlugen gegen ihre Unterarme. Sie versuchte, sie erneut zu öffnen, aber sie musste gegen die vier Winde ankämpfen. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte schob sie eine Seite nach der anderen so weit auf, dass der Wind sie von außen gegen die Schiffswand drückte und offen hielt. Ihre Augen wurden von zu viel Licht geblendet, ihre Lungen füllten sich mit zu viel Luft. Nach den ganzen Tagen in ihrem muffigen, dunklen Verlies verschlug die Helle und Frische der Außenwelt ihr den Atem.
    Ein tosender Sturm schlug die Taue wie Peitschenschnüre gegen die Backbordseite, und die eiskalte Gischt durchweichte sie, drohte sie in die Tiefe zu ziehen. Von nacktem Entsetzen erfüllt blickte sie nach unten – sie befand sich in den Klauen des Drachens. Das Meer war so zinngrau wie der Sarg und so aufgewühlt, dass sie einen Moment lang in ein so tiefes bleifarbenes Tal geriet, dass sie den Himmel nicht sehen konnte, und im nächsten auf einen silbernen Berg gehoben wurde.
    Während sie sich an die nassen Seile klammerte, nahm sie verschwommen eine kleine, von Fackeln erleuchtete und von Mauern umgebene Insel wahr und hörte einen Schrei, als das Schiff vorüberrauschte. Als sie den Sarg vorwärtsschob, bis erst ein Viertel und dann ein Drittel davon aus dem Schiff herausragte, übertönte ein noch gellenderer Schrei das Toben des Sturms.
    Er kam von Tod.
    Er wusste, was sie vorhatte, und begann kreischend gegen den Sarg zu hämmern. Sie meinte, von irgendwo über ihr einen Antwortschrei zu hören, der aber in Tods verzweifeltem Flehen unterging.
    »Nein, Mädchen, nein! Lass mich! Ich brauche meinen Triumph. Meine Familie, was ist mit meiner Familie? Wenn ich meinen Auftrag nicht ausführe, werden sie nicht belohnt!«
    Sie versuchte, die Ohren vor seiner Stimme zu verschließen, und schob die Schultern für einen letzten Stoß hinter den Kopf, aber sie hörte jedes einzelne panikerfüllte Wort. »Ich habe einen Sohn, der den Hof neben meinem kaufen will! Er heißt Daoud, und er ist erst siebzehn! Ich habe eine Tochter, Deniz, sie ist zwanzig und möchte heiraten, hat aber keine Mitgift! Meine Frau, meine Zarafa … meine Liebe … großer Gott, lass mich sie nicht schmählich im Stich lassen!«
    Da wusste sie, dass er ein Mann war, nur ein Mann. Sie konnten ihn das schwarze Pferd oder Tod nennen, aber er war nur ein dem Untergang geweihter sterblicher Mann mit einer Familie und einer Tochter, die so alt war wie sie selbst. Der Wind fegte Feyras Tränen weg, bevor sie über ihre Wangen rollen konnten, doch sie schob den Sarg grimmig entschlossen weiter. Endlich trat sie zurück.
    Der Sarkophag balancierte wippend auf dem Rand. Voller Grauen sah sie, wie er den Kipppunkt erreichte und in die sturmgepeitschten Wellen zu fallen begann.
    Im nächsten Moment brach ein heilloses Durcheinander aus, als hinter ihr die Deckluke aufgerissen wurde und eine Schar Seeleute in den Laderaum hinuntersprang. In Sekundenschnelle wurden ihr die Arme mit dem Seil, das sie in der Hand hielt, auf den Rücken gebunden, während eine der Gestalten an ihr vorbeistürmte und sich auf das Ende des Sarkophags warf, das sich noch im Schiffsinneren befand. Der Sarg fiel mit einem lauten Klirren zurück.
    Als die Männer ihn wieder in den Laderaum hievten, hörte Feyra auf, sich zur Wehr zu setzen. Wenn sie weiterkämpfte, würde sie sich nur verletzen. Auf den ersten Blick erkannte sie keinen dieser Männer. Sie gehörten nicht zur regulären Besatzung ihres Vaters und trugen die tintenschwarze Livree der Janitscharen sowie schwarze Turbane.
    Der Sarkophag wurde in die Sicherheit zurückgezogen und Feyra an seinen Platz gestoßen, bis sie dem silbernen Wasserwall gegenüberstand. Sie wusste, dass sie jetzt dasselbe Schicksal erleiden würde, das sie dem Sarg zugedacht hatte, und wartete auf den Stoß, der sie in die Tiefe schicken würde. Doch dann hörte sie plötzlich

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