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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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eine laute Stimme. »Nein!«
    Sie drehte sich im Griff ihrer Häscher um, um den Mann anzusehen, der gerufen hatte. Es war der, der sich auf den Sarg geworfen hatte und nun genauso tropfnass war wie sie. Die Wellen hatten seinen Turban weggerissen, und sein dunkles Haar wehte ihm um das Gesicht.
    »Ihr könnt sie nicht töten«, sagte er zu den Männern, die sie festhielten. Seine dunklen Augen blickten fest und gebieterisch. »Sie ist die Tochter des Kapitäns.«
    Jetzt erkannte sie ihn. Sie kannte ihn flüchtig – sein Name war Takat Turan, er war oft mit ihrem Vater gesegelt. Er stand ihr altersmäßig näher als Timurhan. Sie erinnerte sich, dass seine erste Seeschlacht die von Lepanto gewesen war und ihr Vater ihm das Leben gerettet hatte. Wenn es das war, was ihn bewogen hatte, sie zu retten, konnte sie die Schuld, in der er bei ihm stand, zu ihrem Vorteil nutzen.
    Sie konnte sich kaum vorstellen, wie sie aussehen musste. Die Gischt hatte sie völlig durchweicht, sodass ihr Hemd und Hose schmutzbespritzt und nass am Körper klebten. Sie hatte gesehen, wie die Konkubinen vor dem Spiegel ihre verführerischen Blicke einstudierten und die Odalisken mit den Wimpern klimperten. Ihr waren diese Künste fremd, aber sie nutzte die ganze Macht, die sie stets unter ihrem Schleier verborgen hatte, und setzte einen flehenden Blick auf. »Bitte.« Sie sah ausschließlich Takat Turan an. »Bring mich zu meinem Vater.«
    Takat blickte über ihren Kopf hinweg zu dem Mann, der sie festhielt. »Tu es«, befahl er scharf.
    Der Mann zuckte die Achseln. »Gut, ich bringe sie zu ihm. Am Ende kommt es auf dasselbe hinaus.«
    Feyra hörte, wie hinter ihr die Seitentür wieder geschlossen und verriegelt wurde. Sie ließ sich bereitwillig auf das Deck hinauf und in das blendende Licht ziehen. Sie wurde zum Backbordende des Hauptdecks geführt, wo hinter großen beschlagenen Türen die Kapitänsunterkunft lag.
    Als sie zu der Schlafkabine auf der Steuerbordseite gestoßen wurde, überlegte sie, was ihr Vater wohl sagen würde, wenn er sie sah. Während die Tür aufgeschlossen wurde, freute sie sich so auf das Wiedersehen, dass sie nicht darauf verfiel, sich zu fragen, warum er in der Kabine praktisch gefangen gehalten wurde. Aber sowie sie in den kleinen Raum stolperte, verstand sie plötzlich alles.
    Timurhan lag bleich und schwitzend auf seinem Schwingbett, und die Finger, mit denen er sich bei ihrem Anblick ans Herz griff, waren schwarz.

10
    Als sich die Tür hinter ihr schloss, sank Feyra vor dem Bett auf die Knie. Sie hörte noch nicht einmal, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde.
    Das Bett des Kapitäns, das an Seilen an einem an der Decke befestigten Schwingbalken hing, stieß sie fast um, als sie niederkniete. Dieses Bett war ein Statussymbol, eine größere Version der Hängematten der gewöhnlichen Seemänner, mit hölzernen Seiten und einem Vorhang, der zusätzlich Schatten spendete und Privatsphäre schuf. Ihr Vater wirkte darin wie ein Kind in einer Wiege. Timurhan kam ihr vor, als sei er geschrumpft, wie er da verkrümmt auf der feinen Batistdecke lag. Einen Moment lang war sie die Mutter und er das kleine Kind.
    Feyra griff nach der schwarz verfärbten Hand und zwang sich, ihren Vater mit professioneller Sachlichkeit zu betrachten. Er war blass, seine Haut fühlte sich heiß an, und er atmete schwer. Sie schob eine Hand unter sein Hemd und ertastete in jeder Achselhöhle die verräterische Schwellung. Er erkannte sie, als sie ihn berührte, denn seine Augen weiteten sich, er lächelte schwach und versuchte mit trockenen, aufgesprungenen Lippen ihren Namen zu formen. Als er begriff, was ihre Gegenwart bedeuten konnte, erstarb das Lächeln, und ein gequälter Ausdruck trat auf sein Gesicht. Der Anflug von Schmerz schnitt ihr ins Herz, sie umarmte ihn fest und küsste ihn auf die Wange. »Hab keine Angst, Vater«, murmelte sie. »Ich hatte die Krankheit auch, und ich habe sie überlebt. Du wirst ebenfalls wieder gesund werden.«
    Sie zwang sich, fest daran zu glauben. Deshalb hatte man sie nicht in die Wellen geworfen, deshalb »kam es am Ende auf dasselbe hinaus«. Es war den Janitscharen egal, ob sie im Meer oder in dieser verseuchten Kabine starb. Nun, sie würde die Pestilenz einmal mehr besiegen, diesmal um ihres Vaters willen.
    Das Schiff schwankte so stark, dass sie Mühe hatte aufzustehen. Sie blickte sich in der Kabine um. Der Boden war bedeckt mit Teppichen und grobem Wollstoff, der so bemalt war, dass er

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