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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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vom Wind davongeweht wurden. Die Janitscharen traten zurück und bildeten einen Halbkreis. Ihre Köpfe waren jetzt unbedeckt, die Livreen unter weinroten Umhängen verborgen. Sie beobachteten gebannt, aber angsterfüllt, wie das Geschöpf darin sich mit großer Mühe zitternd wie ein neugeborenes Fohlen erhob.
    Erst setzte sich der Mann auf, dann hievte er sich mit bebenden Armen aus dem Sarg. Er bot einen grässlichen Anblick. Seine Stoffhüllen waren zerfetzt und flatterten wie lose Verbände um seinen Körper – ein zum Leben erwachter, noch in sein Leichentuch gehüllter Leichnam. Jemand warf ihm einen Umhang zu, der sich in der Luft aufrollte und einen dunklen Schatten über ihn warf. Er legte ihn an und zog die Kapuze über seinen umwickelten Kopf. Auf den Rücken war ein geflügelter goldener Löwe gestickt. Das Tier schien sich bei jedem abgehackten Atemzug seines Trägers zu bewegen, die Knochen seines ausgemergelten Rückens hauchten den Flügeln des Löwen Leben ein.
    Jetzt war Tod in angemessenes Schwarz gekleidet.
    Er blieb einen Moment lang oben auf dem Steg stehen, bevor er ihn hinunterstolperte, wobei ihm der Neigungswinkel und der Wind in seinem Rücken halfen. Auf dem Dock fiel Tod auf die Knie und versuchte vergebens, wieder aufzustehen.
    Feyra beobachtete ihn, obwohl sie wünschte, den Blick von dem jämmerlichen Anblick abwenden zu können, was sie aber aus irgendeinem Grund nicht fertigbrachte. Sie schwankte zwischen Mitleid mit dem Mann und der inbrünstigen Hoffnung, er würde mit dem Gesicht nach unten ins Wasser fallen und ertrinken oder von der einsetzenden Flut, die seinen Umhang silbrig schimmern ließ und durchweichte, in das Meer zurückgeschwemmt werden.
    Doch er raffte sich mit übermenschlicher Willenskraft auf und taumelte zwischen den Säulen hindurch. Der Stoff des Umhangs fiel in so seltsamen Falten herab, dass es aussah, als wäre sein Träger die einzige Menschenseele ohne Spiegelbild oder Schatten auf dem Platz. Auch der sich im Wind bauschende und blähende Überwurf verlieh dem sterbenden Mann ein gespenstisches, unirdisches Aussehen. Er glich dem personifizierten Sensenmann.
    In diesem Moment begriff Feyra, dass sowohl die Galeere selbst als auch der Umhang mit dem furchterregenden geflügelten Löwen Teil des Plans waren. Die Einwohner der Stadt würden ein venezianisches Schiff und einen kranken Mann in dem Umhang eines Admirals sehen und ihm zu Hilfe eilen. Einige Menschen wateten schon zu ihm hinüber.
    Sie hämmerte schreiend gegen das Bullauge, aber die Glasscheibe, die Stürmen und Schlachten standgehalten hatte, bekam noch nicht einmal einen Sprung. Ihre Knöchel wurden wund und ihre Stimme heiser, aber sie erreichte nichts. Sie rannte zur Tür und zerrte an dem Knauf, wusste aber schon, dass auch das nichts fruchten würde. Dann blickte sie zur Decke, rüttelte mit aller Kraft an den Gitterrosten im Quarterdeck und versuchte sie aufzureißen. Schließlich griff Feyra verzweifelt nach der Weinflasche und schmetterte sie gegen das Bullauge, bewirkte aber nur, dass die Flasche in ihrer Hand zerbrach und die grünen Scherben ihr in die Haut schnitten.
    Als sie das bittere Blut von ihren Fingern leckte, sah sie eine Frau, die ihren Sohn auf der Hüfte trug. Die Mutter setzte das Kind ab und zog ihm zum Schutz vor dem Regen seinen kleinen Dreispitz tiefer in die Stirn. Doch der Junge klammerte sich an ihre Röcke, weil er nicht zurückgelassen werden wollte, also gingen sie gemeinsam zu der Gestalt in dem Umhang hinüber.
    Feyra schrie nicht mehr, sondern beschwor die Frau nur leise und voller Verzweiflung: »Bitte, bitte, bitte, kehr um. Nimm dein Kind und lauf weg.« Doch die Frau schritt mit ihrem Sohn im Schlepptau geradewegs auf Tod zu und streckte ihm eine Hand hin. Und als würde die Zeit langsamer verstreichen sah Feyra zu, wie Tod seine schwarze Hand unter seinem Umhang hervorschob und sie um die weiße der Frau schloss.
    Es war vollbracht.
    Sie sah, wie die Frau vor dem Gesicht unter der Kapuze zurückwich, sah, wie sie die weiße Hand wegriss, sie um den kleinen Jungen schloss und mit den Fingern, die die von Tod berührt hatten, das kleine Gesicht in ihr Gewand presste. Ein paar andere Leute kamen halb durch das knietiefe Wasser watend, halb laufend auf sie zugeeilt, um zu sehen, was dort nicht stimmte.
    Feyra drehte sich wieder zu ihrem Vater um. Sie brauchte weder mit anzusehen, was auf diesen Vorfall folgte, noch ihm zu berichten, was geschehen war. Er

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