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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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steinernen Stufen wieder hinunter, ging hinten um das Tezon herum und stieß auf einen Brunnen, eine ziemlich große Einfassung mit einer dekorativen Rinne. Bei Brunnen dieser Bauart gab es sieben Schichten von Fels und Sand, die das Wasser filterten, sodass es klar und frisch war. Das steinerne Becken war mit einem Relief des allgegenwärtigen geflügelten Löwen verziert, doch hier war das Buch, das er zwischen den Tatzen hielt, geschlossen.
    Annibale war einen Moment lang abgelenkt und beugte sich vor, um genauer hinzusehen. Normalerweise war bei derartigen Darstellungen das Buch aufgeschlagen und die Grußformel für den heiligen Markus – Pax tibi, Marce, Evangelista meus – deutlich in den Stein geritzt. Er fragte sich, was das geschlossene Buch zu bedeuten hatte. Vielleicht, dass irgendetwas versiegelt oder versteckt war.
    Was ihn an etwas erinnerte. Er sank auf die Knie, grub ein viereckiges Loch in den weichen Boden, versenkte die Cason-Schatulle tief in der Erde neben dem Brunnen und bedeckte sie sorgsam, damit sie nicht gefunden wurde. Doch er spürte die ganze Zeit lang Augen auf sich ruhen und dachte einen atemlosen Moment lang, der Löwe würde ihn beobachten.
    Als er sich erhob, kam eine große graue Katze wie von einem Katapult abgeschossen auf ihn zugejagt, verlangsamte ihre Geschwindigkeit, schlich geradewegs auf ihn zu und stupste gegen seine Hand, damit er sie streichelte. Sie würde eine Enttäuschung erleben.
    Annibale schritt an der Häuserreihe entlang. Er spähte in eines der leeren Gebäude – zwei Räume, einer über dem anderen, mit Kamin, gutem Licht und ausreichender Belüftung. Es gab wahrscheinlich über hundert dieser Familienunterkünfte. Alle Häuser waren in einem guten Zustand, nur eines an der Ecke wirkte heruntergekommen und baufällig. Annibale nahm an, dass es einst von Kanonenkugeln getroffen worden war. Nicht alle Schiffe, die von den Beamten zu der Insel beordert worden waren, hatten sich bereitwillig den strikten Quarantänevorschriften der Republik unterworfen.
    Dort, wo zwei Häuserreihen aneinandergrenzten, stand eine kleine quadratische Kirche mit einem Kreuz darauf. Annibale ging zu ihr hinüber, gefolgt von der Katze, und trat ein. Er hatte nicht viel Zeit für Religion. Er war zwar zur Frömmigkeit erzogen worden, hatte aber in Padua ein paar radikale Untergrundvorträge von jenen gehört, die die Wissenschaft über Gott stellten. Insgeheim hatte er ihnen manchmal recht geben müssen.
    Er drehte sich in dem kleinen Kirchenschiff um. Es gab ein schönes Buntglasfenster aus Muranoglas, das vier Schiffe mit den scharlachroten und goldenen Bannern Venedigs zeigte, die über kleine immergrüne Wellen hinwegflogen. Aber ansonsten sah er nichts als ein paar grob geschnitzte Bänke und ein Holzkreuz auf dem schlichten Altar, weder einen Kelch noch ein Buch. Anscheinend hatte Gott diesen Ort schon vor langer Zeit verlassen. Vögel nisteten in den Deckenbalken.
    Doch irgendjemand hatte den Boden gefegt, er konnte Reisigspuren eines Besens im Staub erkennen, und dort, wo jemand versucht hatte, den Vogeldreck von den Bänken zu schrubben, war ein weißer Fleck zurückgeblieben. Annibale prägte sich diese kleine Information ein, konservierte sie in seinem Gedächtnis wie eine seltene Spezies in einer Flasche.
    Draußen blickte er zu dem Architrav auf, auf dem in Goldbuchstaben San Bartolomeo stand. Sankt Bartholomäus. Ein guter Name für eine Kirche, ein noch besserer für ein Krankenhaus, dachte er.
    Er ging zum Torhaus zurück. Der alte Kauz betrachtete den einfachen Kelch auf dem Tisch vor sich, als könne er Wunder vollbringen. Der Einfaltspinsel, der immer noch im Schatten der Kaminecke kauerte, beobachtete seinen Vater.
    Annibale griff nach der Mäuselederbörse. Sie fühlte sich leichter an als vorher. »Ich danke euch«, sagte er. »Und als Lohn für eure Mühe schenke ich euch diesen Kelch. Möge er dir und deinem Sohn Segen spenden, denn hat nicht Jesus selbst die geistig Armen geliebt? Meine Dukaten nehme ich natürlich wieder an mich.« Er durchbohrte den Vater mit einem stechenden roten Blick.
    Bocca starrte ihn an. Seine Augen waren so rund wie die Dukaten. Annibale sah einen Anflug von Schuldbewusstsein darin aufflackern und wusste plötzlich, wer die Kirche gefegt hatte. Er betastete die Münzen durch das Mäuseleder hindurch – es waren drei, nicht vier.
    »Wartet.« Bocca wand sich geradezu vor Scham. Er öffnete seine schmutzige Hand. »Hier ist eine

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