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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Cason vom Consiglio della Sanità«, log er. »Bist du hier der Torhüter?«
    Der Alte zuckte die Achseln. »Das war ich, Dottore, bis die Pesthexe kam. Da machten sich alle davon. Der Consiglio Marittima hat verfügt, dass keine Schiffe in die Stadt hereinkommen oder sie verlassen dürfen, bis wir wieder pestfrei sind. Das letzte kam am Dienstag – während eines fürchterlichen Sturms. Eine Galeere namens Il Cavaliere. Wir haben gerufen und Fackeln geschwenkt, aber sie ließ sich nicht aufhalten.«
    »Ja, ja«, versuchte Annibale den unaufhörlichen Wortfluss einzudämmen. »Also sind alle fort? Die Marschälle, die Vierzigtagemänner? Die bastazi und ihre Familien?«
    »Ja, Dottore. Alle sind fort, und vor Eurem war nur ein Boot da, das die Briefe vom Consiglio brachte. Sie räuchern die Post jetzt natürlich. Ich habe heute Morgen einen Brief bekommen und konnte ihn kaum lesen, so gelb war er …«
    »Natürlich«, unterbrach Annibale. »Demnach ist wirklich niemand mehr hier?«
    »Keiner, Dottore. Sie sind alle nach Treporti gegangen. Alle außer mir und meinem Jungen.« Der Graubart hob sein stoppeliges Kinn. »Ich bin der Torhüter, und bei Gott, ich werde das Tor bewachen. Wir leben hier, Dottore, mein Junge kennt es nicht anders.«
    Zum Festland geflohen. Annibale nickte, sodass der Schnabel seiner Maske vor seinem Gesicht einen schwungvollen Bogen beschrieb. Die Reichen flohen immer in ihre Villen in Venetien, die Armen nach Treporti. Er musterte den Zwerg, der noch immer angelte und dem Gespräch augenscheinlich keine Beachtung schenkte. »Kann ich mich hier umsehen?«
    »Selbstverständlich, Dottore. Ich führe Euch herum. Komm«, rief er dem Jungen zu. Vater und Sohn ließen ihre Angelruten im Stich, und das seltsame kleine Trio begab sich zum Torhaus, wobei der Graubart die ganze Zeit schwatzte und der Junge in einen Trab verfallen musste, um mit seinen kurzen Beinen mit ihnen Schritt halten zu können. An der Tür zog der Mann einen Schlüsselring hervor. Das Haupttor führte zu einem niedrigen Bogen, der Annibale einen verlockenden Blick auf das bot, was dahinter lag. Aber erst galt es, das Geschäftliche zu besprechen. Annibale deutete auf eine Tür in der Mauer links von ihnen.
    »Und dies ist deine Unterkunft?«
    »Nichts Großartiges, Dottore, nichts Großartiges.« Der alte Mann bat ihn mit einer so übertriebenen Geste herein, als lüde er ihn in den Palazzo Ducale selbst ein, obwohl das Torhaus wenig mehr als einen Tisch, Stühle und eine rauchende Feuerstelle enthielt. »Ich wurde am Tag meiner Hochzeit zum Torhüter der Vigna Murada ernannt, am Matthäustag vor vielen Jahren. Ich kam mit meiner Frau hierher, aber als wir den Jungen bekamen, warf sie nur einen Blick auf ihn und verließ uns. Verschwand, kaum dass sie aus dem Kindbett aufgestanden war.«
    Annibale schielte zu dem Jungen hinüber, doch dessen graue Augen waren so ruhig wie die Lagune. »Wie lauten eure Namen?«
    »Ich bin Bocca Trapani, und dies hier ist Salve.« Bocca war kein christlicher Vorname, doch Annibale vermutete, dass der Torhüter wegen seiner Geschwätzigkeit so genannt wurde; er redete für seinen stummen Sohn gleich mit. Annibale musste verhindern, dass der Mann ihn herumführte, er wollte in Ruhe nachdenken. Salve war ein Name, den Behinderte oft erhielten, er bedeutete wörtlich »hilf« oder »rette«. Der Torhüter musste ein frommer Mann sein. Annibale kam ein Gedanke.
    Er nahm den Kelch und die Börse aus seinem voluminösen Ärmel, legte beides behutsam auf den Holztisch und bedeutete den beiden Männern, sich zu setzen. Er bemerkte, dass der Junge sich sofort in den Schatten der Kaminecke zurückzog, sich dort verbarg und zu ihnen hinüberspähte. »Jetzt hör mir gut zu«, begann Annibale. »Dies hier ist mein Familienschatz.« Er deutete mit seinem behandschuhten Finger auf die Börse. »Kann ich ihn euch beiden ehrlichen Männern anvertrauen, während ich mich im Auftrag des Dogen hier umschaue? Und dies«, er tippte gegen den Rand des alten Messingkelchs, der daraufhin leise summte, »ist ein sehr alter Kelch. Es heißt«, hier senkte er ehrfürchtig die Stimme, »dass Christus selbst aus ihm getrunken hat.«
    Der alte Mann starrte den wertlosen Becher überwältigt an.
    »Ich bin beim nächsten Glockenläuten zurück.« Mit diesen Worten verließ Annibale das verräucherte Haus und schritt durch den Bogen auf die Vigna Murada.
    Er hatte einen nach rein praktischen Gesichtspunkten angelegten Ort

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