Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Raffiniert.« Die Stimme klang warm vor Bewunderung.
»Innen gibt es eine einzelne serife, eine Galerie, und eine zweistöckige draußen. Das Innere ist mit Iznik -Fliesen ausgekleidet und das Holzwerk mit schlichten Intarsienmustern aus Elfenbein und Perlmutt verziert. Aber das Juwel in dieser Schatulle – das Grab Süleymans – ist aus weißem Marmor gefertigt.«
Feyra befand sich fest im Griff ihres Traums; schritt unter dem juwelenbesetzten Dach herum. Sie fühlte sich wie im Himmel. Ein scharfer Klopflaut riss sie unsanft auf die Erde zurück.
»Verdammt«, fluchte Palladio. »Das muss der Arzt sein.« Feyra erhob sich verwirrt. »Komm …« Ihr Herr öffnete eine kleine Tür neben der Treppe zum Mezzanin. »Warte im cabinetto.«
Der kleine Raum enthielt Palladios sämtliche Gerätschaften, seine Stifte und Tinten, Kohlestückchen und Stapel von Papier. Feyra hielt die Tür mit ihrem in das Schlüsselloch geschobenen kleinen Finger zu, doch ihre Neugier gewann die Oberhand, und sie schob sie einen Spalt breit auf, um hinauszuspähen.
Der Anblick, der sich ihr bot, löste ein solches Herzrasen bei ihr aus, dass sie fast in den Raum gefallen wäre. Ihr Herr saß auf dem Stuhl, von dem sie soeben aufgestanden war, und ein grässliches, schwarz gekleidetes Monster mit einem zum Zustoßen bereiten gebogenen Schnabel beugte sich über ihn.
22
»Ich glaube nicht, dass Ihr überhaupt krank seid.«
Annibale musterte den alten Mann. Der Qualität seiner samtenen Kleider, der Größe der Räume und des guten Eichenholzes, aus dem sein Stuhl gefertigt war, nach zu urteilen war der Architekt eindeutig ein wohlhabender Mann. Obwohl sein Bart weiß war, schimmerten seine Augen wach und klar.
»Das bin ich auch nicht«, räumte der alte Mann ein. »Noch nicht. Aber ich kann es mir nicht erlauben, krank zu werden, und der Doge behauptet, Ihr seid der beste Pestarzt in ganz Venedig.«
Annibale war nicht eitel. Seine Mutter hatte ihm einst gesagt, er wäre ein hübsches Baby gewesen, seine Tanten hatten ihn ein hübsches Kind genannt, und dann hatten ihn viele Frauen als attraktiven Mann bezeichnet. In Padua galten die Lobeshymnen nicht mehr seinem Äußeren, sondern seiner Intelligenz. Seine Lehrer schwärmten immer wieder, er habe den schärfsten medizinischen Verstand seines Jahrgangs. Und dann hatte ihn der Camerlengo der Republik persönlich für diese Mission ausgewählt, daher zuckte er jetzt nur die Achseln. Es ärgerte ihn, von seiner Arbeit fortgerufen worden zu sein, und es ärgerte ihn, dass er dem Camerlengo hatte nachgeben müssen. Er machte kein Hehl daraus. »Und Ihr«, bemerkte er sarkastisch, »seid der wichtigste Mann in Venedig, weil Ihr eine Kirche baut.«
Der alte Mann straffte sich ein wenig. »Nicht irgendeine Kirche. Eine Kirche, um Gott den Herrn zu bitten, uns von der Pest zu erlösen.«
Annibale dachte an die Straßen, durch die er gerade gegangen war. Valnetti und seinen Kollegen gelang es ganz offensichtlich nicht, die Seuche einzudämmen. In manchen quartieri prangten jetzt an allen Türen Kreuze, standen an jeder Ecke Kisten mit Kalk, quoll Myrtenrauch aus jedem Schornstein. »Dann bittet ihn sehr inbrünstig«, schnarrte er, rückte seine Maske zurecht und schickte sich an, sich zu verabschieden.
Der alte Mann deutete mit seiner rauen Hand auf den Schnabel. »Hilft das Ding?«
»Bis jetzt ja. Und egal ob er hilft oder nicht – die Leute erwarten, dass ich diese Maske trage, das ist viel wichtiger.« Annibale richtete sich auf und griff zu einer Lüge, um seinen Aufbruch zu beschleunigen. »Offen gestanden, Maestro, wenn Ihr der Pest schon so viele Tage lang entronnen seid, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sie Euch jetzt noch ereilt.« Er lenkte ein. »Aber etwas könnt Ihr tun. Beschafft Euch ein Stück guten Leinens – ich meine ein fest gewobenes, so wie das aus Ägypten –, räuchert es jeden Tag über dem Feuer aus und bindet es Euch vor Mund und Nase, wenn Ihr Euch ins Freie begebt.« Er blickte sich zu dem alten Mann um. »Wenn Ihr ein Steinmetz seid, solltet Ihr das ohnehin tun, oder dieser Husten wird Euch umbringen, bevor die Pest es tut. Entweder das, oder Ihr haltet Euch von den Steinen fern.«
Der Mann lächelte in seinen weißen Bart hinein. »Das kann ich nicht. Steine sind mein Leben.«
»Dann wird das, was einst Euer Leben war, Euch den Tod bringen«, fauchte Annibale.
Jetzt kicherte der alte Mann leise. »Wenn ich vorher noch meine Kirche fertigbauen
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