Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Pergamentfetzen fallen, richtete sich auf und wischte ihre rußigen Finger an ihrem Rock ab. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn nicht lieber allein lassen sollte, aber sie hatte sich verraten und ihn angeschrien, und nun gab es kein Zurück mehr. Außerdem schien er zum Reden aufgelegt zu sein, und er war ihr einziger Weg zu dem Dogen. Sie holte tief Atem. »Was habt Ihr bislang getan?«, fragte sie.
»Ich habe die Örtlichkeiten vermessen und«, er schwenkte die Hand in Richtung Kamin, »genug Linien gezeichnet, um Jerusalem zu erreichen, wenn man sie aneinanderreiht. Und ich habe meinen armen Zeichner so viele zeichnen lassen, um wieder bis nach Hause zurückzukommen. Alles nur wertloses Gekritzel.«
Feyra dachte an den Zeichner namens Samstag und seine tintenverschmierten Finger, die er sich wundgescheuert hatte. »Und was wird er zu dem sagen, was Ihr getan habt?«, fragte sie streng.
»Er kennt mich mittlerweile gut genug. Du bist mit Zabato Zabatini bekannt?«
»Ich bin seine Nichte«, erwiderte Feyra vorsichtig.
Er sah sie direkt an, und sie sah winzige Kerzen fröhlich in seinen Augen brennen. »Das bist du mit Sicherheit nicht. Zum einen ist seine Schwester nicht verheiratet. Und zum anderen hast du eben wie eine Ungläubige geschnattert. Bist du eine Maurin? Oder eine Russin?«
Er wirkte nicht ärgerlich, eher belustigt. Feyra beschloss, ihm die Wahrheit zu gestehen. »Ich komme aus Konstantinopel.« Sie wappnete sich dafür, ihm ihre Geschichte erzählen zu müssen.
Aber es schien, dass Palladio an dieser Geschichte nicht interessiert war, da er mit seinen eigenen Problemen beschäftigt war. Stattdessen murmelte er nachdenklich: »Ah, Constantinopoli. Dort gibt es viele wundervolle Tempel, wie ich hörte.«
Einen besseren Weg zu Feyras Herzen hätte er nicht finden können. Sie trat eifrig zu seinem Stuhl. »O ja! Es gibt viele Moscheen. Abgesehen von der Hagia Sophia ist da noch die Süleymaniye-Moschee, die auf einem Hügel steht und das Goldene Horn überblickt. Sie ist die größte Moschee Konstantinopels und hat vier Minarette. Dann ist da noch die Fatih-Moschee mit Koranschulen, Hospizen, Bädern, einem Krankenhaus und einer Bibliothek.« Sie fühlte sich plötzlich dorthin zurückversetzt; schlenderte wieder über das sonnenwarme Pflaster. Die Fatih-Moschee verkörperte für Feyra mehr als jedes andere Gebäude das Konzept des Mizan, denn sie befasste sich sowohl mit der Seele als auch mit dem Geist und dem Körper.
»Dann gibt es die Beyazit-Moschee, sie steht in der Mitte eines großen Komplexes. Sie hat eine riesige, von vier Säulen getragene Kuppel.« Sie beschrieb die Kuppel mit den Händen. »Diese Handwerkskunst!« Sie konnte sich nicht bremsen und wurde plötzlich von einer überwältigenden Wehmut erfasst. »Und dann ist da noch die Eyüp, die älteste von allen. Sie liegt außerhalb der Stadtmauern in der Nähe des Goldenen Horns, an der Stelle, wo der Standartenträger des Propheten Mohammed begraben sein soll. Sie ist so prachtvoll, dass die Gläubigen seit Jahrhunderten dorthinpilgern.« Der große Sinan würde nicht in Selbstmitleid versinken und seine Zeichnungen verbrennen, dachte Feyra. »In Konstantinopel sind die Architekten von ihren Visionen besessen«, fuhr sie fort. »Ich kannte einen, der vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang nichts isst. Erst wenn das Licht so schwach ist, dass er nicht mehr bauen kann, bricht er sein Fasten.«
»Ich wünschte, ich wäre von seiner Leidenschaft erfüllt – meine ist erloschen, wie es aussieht«, grübelte Palladio, der in seinem Unglück schwelgte. Er erhob sich und begann an einem Fensterriegel herumzunesteln. »Für jeden der Tempel, die du aufgezählt hast, kann ich eine meiner Kirchen nennen. Sieh her …« Plötzlich beflügelt, zog er die Schubladen unter dem langen Kartentisch auf und entnahm ihnen eine Reihe von Plänen. »Hier«, las er von seinen Notizen ab. »Tor für die Kirche Santa Maria dei Servi. Und hier: Fassade für die Basilika San Pietro di Castello. Und hier: Fassade für San Giorgio Maggiore. Das Kloster Santa Maria della Carità. Die Fassade für die Kirche San Francesco della Vigna. Und so geht es immer weiter. Und jetzt, jetzt bekomme ich meinen ersten Auftrag von der Republik Venedig, und ich kann keine vernünftigen Entwürfe anfertigen.« Frustriert schlug er sich mit der Faust in die Handfläche.
Feyra betrachtete die verstreuten Pläne. »Warum muss diese Kirche etwas Besonderes
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