Die Heilerin
plötzlich Abraham leise mit brüchiger Stimme. »Was ist bloß passiert?«
»Ein Unfall. Alles wird gut, wenn du nur etwas trinkst.«
»Schmeckt es wieder so scheußlich?« Er versuchte ein Lächeln, doch es gelang ihm nicht.
»Schlimmer. Hier. Sei einfach tapfer.« Margaretha schob ihren Arm unter seinen Kopf, hielt die Schale an seinen Mund. Er schaffte nur ein paar Schlucke, schloss dann wieder die Augen.
»Danke, Gott«, flüsterte Margaretha. Sie blieb bei ihm sitzen, hielt seine Hand und betete.
Das energische Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Gretje eilte die Diele entlang und öffnete die Tür. Es waren zwei Männer der Stadtwache und der Schöffe Heinrich Loos. Sie führte die Männer in die Küche, holte Isaak und die Söhne von drüben. Auch Margaretha wurde hinzugebeten. Doch sie alle konnten kaum Auskunft geben. In der Nacht war es zu dunkel gewesen, so dass sie niemanden erkannt hatten.
»Es kam zu plötzlich«, sagte Dirck leise. »Wir haben gar nicht damit gerechnet. Und dann ging auf einmal alles drunter und drüber. Es war entsetzlich. Ich habe nur versucht, unsere Magd zu schützen. Wir wollten nur weg, so schnell wie möglich.«
»Euer Bruder wurde niedergestochen?«, fragte Heinrich Loos. »Weiß er von wem?«
»Abraham ist nicht bei Bewusstsein«, sagte Gretje.
»Nun gut, meldet Euch, sobald es ihm besser geht und wir mit ihm reden können.« Der Schöffe Heinrich Loos räusperte sich. »Was in der Nacht passiert ist, ist abscheulich. Wir werden alles versuchen, um den Gesellen dingfest zu machen und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen.« Loos nahm umständlich die Pfeife aus seiner Tasche, stopfte sie und zündete sie dann an. »Ich habe schon einige der jungen Leute zu den Ereignissen befragt. Euch dürfte nicht neu sein, dass die Stimmung in der Stadt recht angespannt ist. Ich kann Euch nur raten, Euch zurückzuhalten.«
»Wie bitte?« Isaak richtete sich auf. »Meine Kinder wurden angegriffen. Sie haben nichts getan.«
»Möglicherweise ist das so. Ich war nicht dabei. Gehört habe ich aber, dass die Mennoniten die Reformierten gereizt haben. Und Jasper Tönnis hat als Erster zu einer Waffe gegriffen. Er war Mennonit.«
»Wir wurden angegriffen, mit Prügeln wurde auf uns eingeschlagen«, sagte Dirck entrüstet.
»Das sagt Ihr. Ich habe auch andere Aussagen vernommen.«
»Verstehe ich das richtig, Schöffe Loos, dass Ihr uns die Schuld gebt für den Aufruhr?«, fragte Hermann bedächtig.
Loos zog an seiner Pfeife. »Schuld ist nicht das richtige Wort. Die Anzahl der Mennoniten in der Stadt wächst. Der Magistrat möchte keine weiteren Zuwanderer. Jetzt schon ist es viel zu eng in der Stadt. Und Ihr wisst genau, dass Eure Glaubensgemeinschaft mit Skepsis betrachtet wird. Nun kames zu Ausschreitungen und laut aller Aussagen, auch der Euren, hat Jasper Tönnis als Erster zu einer Waffe gegriffen und den kleinen Gottfried Lemmen getötet. Ihr behauptet, Ihr würdet gewaltfrei leben, lehnt den Waffengebrauch und Besitz ab. Doch einer von Euch hat getötet. Das widerspricht sich. Unruhe macht sich breit.«
»Einer. Jasper Tönnis hat sich verteidigt. Ich glaube kaum, dass er töten wollte.« Hermann runzelte die Stirn.
»Das vermag nun niemand mehr zu beurteilen, denn er ist tot und kann sich nicht mehr äußern. Und doch ist es passiert. Wird es wieder passieren?«, fragte Loos.
»Wir werden das in der Gemeinde ausführlich bereden. Natürlich werden wir auch mit den Jungen sprechen und sie eindringlich ermahnen.« Isaak schnaufte. »Wir waren schon immer gegen Gewalt und werden es auch weiterhin sein.«
»Das ist gut möglich, Mijnheer op den Graeff, aber die Haltung Eurer Gemeinde stört doch viele in der Stadt. Ihr lehnt den Gebrauch von Waffen ab, Ihr lehnt auch Ämter und Pflichten ab, wollt mit der Obrigkeit nichts zu tun haben. Aber die Dienste der Stadt nehmt Ihr dennoch in Anspruch. So wird nun die Stadtwache den Angriff auf Euren Sohn Abraham untersuchen, und sollte ein Täter gefunden werden, wird er nach Recht und Gesetz angeklagt und verurteilt werden.«
»Ist es nicht so, dass wir redlich dafür bezahlen?«, fragte Hermann und zog die Augenbrauen hoch.
»Und doch nehmt Ihr Euch das Recht heraus zu entscheiden, woran Ihr Euch beteiligt und woran nicht. Viele Bürger sehen das mit Argwohn.« Loos stand auf. »Ich will Euch nur warnen. Ihr solltet Euch zurückhalten.«
»Wir halten uns zurück, das haben wir immer schon getan. Wir
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