Die Heilerin
Kopf.
»Leise, Hermann«, sagte Margaretha. Nun sah sie auch die Blutspur, die bis zum Wohnzimmer führte. »Mutter schläft in der Stube und Abraham auch. Komm in die Küche.«
»Ist etwas?« Erstaunt sah ihr Bruder sie an.
»Komm, ich erkläre es dir.« Sie zog ihn mit sich.
»Was macht ihr denn hier? Solltet ihr nicht längst im Bett sein?«
»Wo kommst du her, Hermann?«, fragte Dirck.
»Ich habe mit Freunden zusammengesessen, ein Pfeifchen geraucht, wieso?« Hermann setzte sich an den Tisch, schaute seine Geschwister erschrocken an. Nach und nach erzählten sie ihm, was vorgefallen war. Auch Isaak kehrte mit Jonkie zurück und setzte sich zu ihnen an den Tisch. So wirklich begreifen konnte es noch niemand von ihnen. Schließlich schwiegen sie. Hermann sah sie lange an, stand dann kopfschüttelnd auf und ging in die Stube.
»Mutter schläft«, sagte er, als er in die Küche zurückkam. »Und Abraham atmet noch.« Er ließ sich schwer auf die Bank fallen. »Weiß man, wer es war?«
»Nein«, sagte Jan. »Es war zu dunkel. Wir konnten außer Schatten kaum etwas erkennen.«
»Ich habe die Stadtwache getroffen«, sagte Isaak leise. Er klang heiser. »Der getötete Junge ist der Sohn von Friedrich Lemmen, dem Schöffen.«
»Der kleine Gottlieb?« Jan schlug die Hand vor den Mund. »Er war doch höchstens vierzehn Jahre alt.«
Isaak nickte. »Ja, genau der. Die Wache wird im Laufe desTages kommen, um euch zu vernehmen. Jasper Tönnis ist tot. Das ist sein Glück, denn ansonsten wäre er sicherlich auf das Rad geflochten worden.« Isaak verzog das Gesicht. Nicht oft wurde diese grausame Strafe in Krefeld verhängt. »Die Stadtwache will feststellen, inwieweit ihr beteiligt ward. Insbesondere Abraham.« Er schnaufte wütend. »Da wird der Sohn niedergestochen und soll daran schuld sein. Die Welt ist verkehrt und schlecht.«
»Ich kann die Wache verstehen, Vater«, sagte Hermann bedächtig. »So etwas hat es hier am Neujahrstag noch nicht gegeben. Schlägereien sicherlich schon, aber keine Toten. Vor allem nicht unter den jungen Leuten. Das ist doch etwas anderes, als wenn sich zwei alte Säufer an die Kehle gehen. Die Stimmung in der Stadt ist zum Zerreißen gespannt. Sie werden hart durchgreifen müssen.«
Margaretha rieb sich über das Gesicht. Sie fühlte sich wie ausgewrungen. Rebecca schlief, den Kopf auf die Arme gelegt, am Tisch.
»Der Tag wird hart werden. Du solltest nach Hause gehen, Jan. Deine Eltern machen sich bestimmt Sorgen um dich.« Margaretha stand auf und schürte das Feuer. »Dirck, geh ins Bett und schlaf wenigstens ein paar Stunden, du auch, Vater. Es nützt ja nichts, wenn wir hier alle sitzen.«
»Ich bringe Jan nach Hause«, sagte Hermann ernst. »Wir wollen ja nicht, dass noch jemandem etwas zustößt.«
Seufzend stand Jan auf. Margaretha begleitete ihn zur Tür. »Das Jahr fängt nicht gut an«, sagte sie leise.
»Nein. Aber so kann es eigentlich nur besser werden. Ich hoffe inständig, dass dein Bruder genesen wird.« Er strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. »Pass gut auf dich auf, Liefje. Geh nicht mehr alleine aus dem Haus.«
Jonkie war ihnen gefolgt und drängte sich nun winselnd zwischen sie.
»Was ist eigentlich mit dem Hund? Ist es ein Wachhund?«, fragte Jan.
»Noch nicht.« Margaretha ging in die Hocke und nahm den jungen Hund in die Arme. Jonkie leckte ihr freudig über das Gesicht.
»Mein Lehrherr in Linn hatte auch Hunde. Ich kann dir gerne dabei helfen, er hat mir einige Tricks verraten.«
»Das ist eigentlich Rebeccas Aufgabe.«
»Eure Magd soll den Hund ausbilden? Sie ist doch noch grün hinter den Ohren. Nun ja, solltest du Hilfe brauchen, lass es mich wissen.«
Hermann kam in die Diele, zog sich den Mantel über und setzte den Hut auf. Er sah grimmig aus. Vielleicht war es aber auch nur Müdigkeit.
»Geh auch zu Bett, Margret.«
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Bald dämmert der Morgen. Ich werde die Küche aufräumen, eine kräftige Fleischbrühe für Abraham kochen und die Grütze für das Frühmahl zubereiten. Mutter wird mich brauchen.«
»Mute dir nicht zu viel zu, Zusje«, sagte Hermann und öffnete die Tür. Die eiskalte Luft strömte in das Haus, und Margaretha erschauerte.
In der Stube war das Feuer heruntergebrannt. Margaretha legte Holz nach. Gretje schlief immer noch im Sessel vor der Ottomane. Margaretha stopfte die Decke um sie fest. Abraham atmete noch, aber sein Atem ging schnell und war flach. Margaretha
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