Die Heilerin
lächelte Margaretha zu, doch das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. Aus Gretjes Augen sprachen der Kummer und die Angst. »Es wird eine Weile dauern, bis wir wissen, ob Abraham überlebt. Zwei oder drei Tage bestimmt. Also müssen wir uns abwechseln. Und es hat keinen Sinn, wenn du darüber wieder krank wirst.«
Margaretha nickte. Noch einmal strich sie behutsam über Abrahams Stirn und Wange, dann drehte sie sich um und ging nach oben. Sie schaffte es kaum, die Haken der Ösen des Kleides zu öffnen und es auszuziehen. Das Unterkleid ließ sie einfach an, schlüpfte unter die Decke. Kühl fühlte sich das Kissen an, als sie ihren Kopf in das Leinen drückte. Die Tür, die sie wie immer einen Spalt aufgelassen hatte, öffnete sich, und der Kater sprang maunzend zu ihr ins Bett. Kurz nachdem er sich schnurrend zusammengerollt hatte, schlief sie schon.
Am nächsten Tag schien die Sonne von einem Himmel so klar wie Eis auf einem tiefen See. Margaretha streckte sich verwirrt. Es war hell, und doch war es totenstill im Haus. Nur das Gebälk verzog sich ächzend in der Kälte, und hin und wieder brach krachend ein Eiszapfen von der Dachtraufe. Der Kater räkelte sich genüsslich, leckte dann ausgiebig seine Pfoten, bevor er vom Bett sprang, einen Buckel machte und aus dem Zimmer stolzierte. Plötzlich fiel Margaretha ein, was in der vergangenen Nacht passiert war. Die Stille im Haus verhieß nichts Gutes. Eilends sprang sie auf, wusch sich flüchtig mit dem kalten Wasser in der Schüssel und zog sich an. In der Küche war niemand. Vorsichtig ging sie zur Stube. Die Tür war nur angelehnt, Margaretha spähte durch den Spalt. Gretje saß im Sessel und stopfte Strümpfe. Sie sah erschöpft aus, aber keineswegs verzweifelt.
»Mutter?« Margaretha atmete erleichtert aus. Erst jetzt merkte sie, dass sie den Atem angehalten hatte.
»Meisje, hast du etwas schlafen können? Ich habe alle anderennach drüben geschickt. Du und Abraham solltet Ruhe haben können.«
»Und ich habe mich so erschreckt, weil es so ruhig war«, gab Margaretha zu.
»Ach je, das tut mir leid. Nun komm, iss etwas.« Gretje stand auf, reckte sich müde. »In der Küche ist noch jede Menge.«
Margaretha schaute zu Abraham. Bei Tageslicht sah er noch fahler aus als in der Nacht. Sein Atem war unruhig, die Stirn glänzte wie mit frischem Lack überzogen.
»Es geht ihm besser«, sagte Gretje nicht sehr überzeugend und zog Margaretha mit sich in die Küche. Sie stellte der Tochter eine Schale mit Grütze hin, schnitt kalten Braten und zwei dicke Scheiben Brot ab, die sie mit Butter und Schmalz bestrich.
Margaretha aß schweigend. Schließlich wischte sie die Schale mit einem Rest Brot aus, biss ab und gab den letzten Rest Jonkie, die neben ihr saß und ihre Hand mit dem Löffel nicht aus den Augen gelassen hatte.
»Abraham geht es nicht besser, das habe ich wohl gesehen«, sagte Margaretha schließlich leise.
»Nein, aber auch nicht schlechter.« Gretje senkte den Kopf. »Wir können nur hoffen und beten. Er trinkt nicht oder nur wenig, das ist schlimm.«
»Hat er Fieber?«
»Schüttelfrost, doch das kann durch die Schmerzen kommen. Wirklich Fieber hat er noch nicht. Aber eine Entzündung kann sich noch entwickeln, noch nach Tagen.« Gretje seufzte. »Er ist sehr geschwächt.«
»Dann muss er etwas zu sich nehmen. Hast du schon versucht, ihm die Brühe zu geben?«, fragte Margaretha besorgt.
Gretje schüttelte stumm den Kopf.
»Nun denn.« Margaretha füllte eine Schale mit der Brühe, die auf dem Herd simmerte, und ging in die Stube.
»Abraham?«
Er rührte sich nicht. Behutsam berührte sie ihn am Arm, doch er zeigte keine Reaktion. Sie setzte sich neben ihn. »Abraham, wach auf. Nun komm schon, es ist wichtig. Du musst etwas trinken.« Sie strich ihm über die Stirn. Er bewegte sich kurz, die Augenlider flatterten. »So ist es richtig. Werde wach. Gib dir Mühe.« Vorsichtig rüttelte sie an seiner Schulter, hin- und hergerissen zwischen der Besorgnis, ihm wehzutun, und der Verzweiflung, dass er abrutschen würde in einen Dämmerzustand, aus dem er nicht mehr erwachte.
»Abraham, du musst etwas trinken, bitte«, flehte sie, doch er reagierte nicht. Verzweifelt schloss sie die Augen. Mutter würde es nicht überstehen, wenn ein weiteres ihrer Kinder starb. Und auch Margaretha selbst konnte den Gedanken kaum ertragen, ihren Bruder zu verlieren. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Sie betete still.
»Liefje …«, sagte
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