Die Heilerin
unterhalten den größten Teil der Armenkasse der Stadt. Für unsere notleidenden Gemeindemitglieder sorgen wir selbst, sie nehmen keine Gelder der Stadt in Anspruch.« Auch Hermann erhob sich. »Wir unterstehen zu allererst Gott und dann unserer Gemeinde.«
»Dann sollte Eure Gemeinde vielleicht eine eigene Wache aufstellen, denn ich kann nicht gewährleisten, dass wir Euch zu schützen vermögen.« Heinrich Loos nahm seinen Hut. Die Stimmung in der Küche schien zum Schneiden gespannt zu sein.
»Das klingt wie eine Drohung.« Isaak schüttelte entsetzt den Kopf. »Sind wir ob unseres Glaubens nun Freiwild in der Stadt?«
»Es war eine Warnung, keine Drohung.« Loos nickte ihnen zu und verließ dann gemeinsam mit der Wache die Küche. Hermann begleitete sie zur Tür. Die Familiemitglieder sahen sich entsetzt an.
»Ich gehe zu den Gemeindeältesten«, sagte Isaak schließlich. »Darüber müssen wir dringend reden.«
»Tu das.« Gretje nickte, ihr Gesichtsausdruck war ernst. »Es nimmt bedrohliche Ausmaße an. Wir müssen wohl tatsächlich schauen, wie wir unsere Familien und die Gemeinde schützen.«
Margaretha kümmerte sich um Abraham. Mehrfach wurde er wach und trank von der Brühe oder den Aufgüssen, die sie ihm reichte. Sie war voller Hoffnung, dass er sich bald erholen würde. Hermann hatte Isaak begleitet, und als es Zeit für das Nachtmahl war, waren beide immer noch nicht zurückgekehrt. Müde und bedrückt aßen sie in kleiner Runde. Am nächsten Tag würden die Gesellen und Lehrlinge wiederkommen, und das nächste Arbeitsjahr begann.
»Was wird werden, Mutter?«, fragte Margaretha besorgt.
»Das weiß Gott allein, mein Kind.«
Kapitel 16
Das Jahr begann schleppend und voller Ängste und Sorgen. Die Gemeindeältesten waren bestürzt über die Äußerungen des Schöffen. Immer wieder berieten sie, was zu tun sei, ermahnten die jungen Mennoniten zu Obacht und Bedachtsamkeit im Umgang mit anderen. Sie schlossen sich noch mehr zusammen und mieden die anderen Mitbürger.
»Das ist nicht gut«, meinte Gretje düster eines Abends Anfang Februar. Abraham hatte sich leidlich von der Verletzung erholt. Immer noch war er geschwächt, und die Wunde nässte leicht. Er war nicht belastbar. Die Familie versuchte alles, um ihn zu schonen. So übernahm er erstmal die Buchhaltung. Mit den Bestellungen und Rechnungen saß er oft in der Küche, dem wärmsten Raum des Hauses.
»Was ist nicht gut, Moedertje?«, fragte er.
»Die Stimmung in der Stadt und die Zurückhaltung der Gemeinde. Je mehr wir uns absondern, umso mehr werden wir zu Außenseitern.« Gretje schüttelte den Kopf. »Und das ist nicht gut. Außenseiter sind verpönt, sie sind gefährlich, sie sind verrufen.«
»Aber wir müssen uns schützen.«
Als Abraham das Bewusstsein wieder erlangte, hatte ihn der Schöffe, zusammen mit der Stadtwache, befragt. Abraham erinnerte sich daran, dass Otto Klucken ihn geschlagen und an seiner Schulter gezogen hatte, kurz bevor er zusammengebrochen war. Tatsächlich fand die Stadtwache ein Messer bei Klucken, das die Tatwaffe sein konnte. Otto leugnete die Tat; es sah nicht so aus, als ob man ihm das Verbrechen anlasten konnte.
»Ja, einerseits müssen wir das. Andererseits wird das Leben für uns so nur noch schwerer.« Gretje seufzte.
»Verdomme, Mutter! Wir müssen uns weder anpassen noch fügen. Die Stadt verändert sich. Sie krankt an Missgunst und Neid.« Abraham verzog das Gesicht. »An Eitelkeit undHass. Es ist unerträglich.« Er schlug die Bücher zu und stand auf. »Ich brauche frische Luft. Jonkie, komm!«
»Darf ich dich begleiten?«, fragte Margaretha leise.
Für einen Moment sah er sie an, dann senkte Abraham den Kopf. »Natürlich, Meisje.«
Sie half ihm in den Mantel. Gemeinsam gingen sie Richtung Obertor und aus der Stadt hinaus. Dank Jan folgte der Hund inzwischen gut, blieb nahe bei ihnen.
»Jonkie ist eine Pracht«, sagte Margaretha strahlend.
»Ja.«
Sie sah ihren Bruder an, er hatte die Fäuste in die Taschen des Mantels gestopft, seine Stirn war gefurcht.
»Gottegot, Abraham, was ist mit dir? Immerzu hast du schlechte Laune, bist griesgrämig. Schau doch, wie schön alles ist. Die Sonne, die sich auf dem Eis bricht.«
»Verstehst du eigentlich nicht, was los ist, Meisje? Wir sollen aus der Stadt vertrieben werden. Es ist nicht alles schmuck und schön, nur weil unser Ofen warm, unsere Töpfe noch gefüllt sind.«
Margaretha biss sich auf die Lippe. »Natürlich weiß ich das.
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