Die Heilerin
längst Zeit gewesen, das Frühstück zu bereiten. Doch auch die Männer im Nebenhaus hatten kaum geschlafen. Immer wieder hatten sie Rebecca geschickt, um Nachricht einzuholen. Immer wieder hatte Margaretha sie unverrichteter Dinge nach drüben schicken müssen.
»Es dauert noch. Aber Esther geht es gut. Alles ist normal soweit«, sagte Margaretha und gähnte herzhaft.
»Hermann möchte zu seiner Frau.« Rebecca verzog das Gesicht. »Er ist kaum zu halten.«
»Er möchte zu seiner Frau?« Sie lachte leise. »Nein, das möchte er nicht. Das würde er nicht wirklich wollen. In dem Zimmer ist es heiß und stickig. Esther jammert. Mutter tut alles, um ihr die Schmerzen zu erleichtern. Aber sehen will er das nicht, bestimmt nicht.«
»Was soll ich ihm sagen? Er lässt sich kaum beruhigen.«
Margaretha holte tief Luft. »Ach«, sagte sie dann und schüttelte den Kopf, »warum soll man den Männern das Leid ersparen? Soll er rüberkommen und es sich ansehen. Ja, schick ihn hierher. Soll er es miterleben.« Margaretha stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Das meinst du nicht ernst?«
»O doch, glaub mir, er wird nicht lange bleiben.«
Margaretha ging wieder in ihre Kammer. Etwas hatte sich verändert. Esther atmete anders als zuvor, ihr Gesicht war angespannt, aber nicht verkrampft.
»Das machst du gut, Meisje«, lobte Gretje. »Es dauert nicht mehr lange, bald hast du es geschafft.«
»Wie lange?«, fragte Esther keuchend.
»Wenn die Sonne aufgeht, hast du dein Kind in den Armen.«
Zweifelnd schaute Margaretha zum Fenster, es dämmerte schon. Sollte ihre Mutter recht haben, würde es nun schnell gehen.
»Margret, bring warme, saubere Tücher. Und warmes Wasser.«
»Jetzt schon?«
Doch Gretje antwortete ihr nicht. Margaretha drehte sich um, im Flur wäre sie beinahe mit Hermann zusammengestoßen. Sein Gesicht war bleich und wirkte eingefallen.
»Und? Steht es schlecht …?«
In diesem Moment schrie Esther auf. Laut und gellend war ihr Schrei.
»Nun, nun«, murmelte Gretje beruhigend. »Nicht schreien. Hol tief Luft, drück dein Kinn auf die Brust, fass nach deinen Kniekehlen und dann presst du.«
Doch Esther legte den Kopf in den Nacken und schrie wieder.
»Esther«, sagte Gretje lauter und strenger. »Wenn du schreist, wird es nur mehr schmerzen. Du musst das Kind auf die Welt pressen, jetzt! Komm! Tief Luft holen, bis in den Bauch.« Gretje legte die Hand an den Hinterkopf ihrer Schwiegertochter, drückte den Kopf nach vorne. »Und nun press!«
»Aaaaaaaaaah«, stöhnte Esther.
Hermann klammerte sich an den Türrahmen, schaute mit aufgerissenen Augen zum Bett. Margaretha drückte sich anihm vorbei, sie stellte den Krug mit dem heißen Wasser auf die Kleiderkiste, legte die Tücher an das Fußende des Bettes.
»Margret, nimm einen Lappen und tränke ihn mit kaltem Wasser, dann halte ihren Kopf«, sagte Gretje. »Esther, die Wehe ist vorbei. Atme tief ein und aus. Du machst das gut.«
»Ich will nicht mehr. Ich will nicht mehr«, jammerte Esther. »Da kommt die nächste Wehe. O nein!«
»Wie vorhin. Tief Luft holen, Kinn auf die Brust und drücken!« Gretje beugte sich über sie. »Drück! So feste du kannst! Ja, gut machst du das.«
Margret stützte den Kopf der Schwägerin und blickte zum Bettende. Der Kopf des Kindes wurde geboren.
»Du hast das Schlimmste hinter dir«, sagte Gretje strahlend. Sie hatte recht, bei der nächsten Wehe rutschte der kleine Körper hinterher. Gretje nahm das Kind auf, wischte ihm über Mund und Nase, noch hatte es die Augen fest zusammengekniffen, doch es öffnete den Mund, tat seinen ersten Atemzug und schrie leise.
»Da bist du ja, Hartje. Willkommen!« Gretje lachte. »Es ist ein Junge, und mir scheint, es ist alles dran.«
Esther ließ sich erschöpft zurücksinken, doch ihre Augen leuchteten, sie lächelte glücklich. Margaretha goss das warme Wasser in die Waschschüssel. Nachdem ihre Mutter die Nabelschnur durchtrennt hatte, durfte sie ihren Neffen waschen. Dann wickelten sie das Kind in die warmen Tücher und legten ihn in Esthers Arme. Flink nahm Margaretha die blutigen Tücher und die Nachgeburt auf, wickelte alles zusammen. Erst als sie sich umdrehte, bemerkte sie Hermann, der wie versteinert an der Tür stand.
»Oh, dich habe ich ganz vergessen. Herzlichen Glückwunsch zu deinem Sohn«, sagte Margaretha lachend. »Nun geh schon rein und schau ihn dir an.«
Unsicher betrat Hermann den Raum. Gretje sah ihn an. »Nun, seit wann stehst du denn in der
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