Die Heilerin
ihrer Abreise rutschte Abraham auf einer vereisten Pfütze aus und verstauchte sich den Fuß. Bedauernd sah er seinem Bruder und dessen Freund hinterher, als sie losfuhren.
Die beiden jungen Männer wollten drei Tage bleiben, doch auch am vierten Tag war von der Kutsche nichts zu sehen.
»Sie werden noch Freunde besuchen, weitere Gespräche führen«, sagte Abraham mürrisch. Esther stand viel am Fenster, blickte auf die Gasse. Sie wirkte blass und ängstlich.
»Hermann wird nichts passiert sein«, versuchte Gretje sie zu beruhigen.
»Doch, etwas Schreckliches ist geschehen«, sagte Esther leise.
Als in der folgenden Nacht heftig an die Tür geklopft wurde, sprangen alle erschrocken aus den Betten. Isaak öffnete die Tür. Die Stadtwache stieß die beiden jungen Männer in die Diele.
»Eine Stunde habt ihr, um eure Sachen zu packen und euch zu verabschieden. Das Haus wird bewacht. Wagt es nicht, abzuhauen.«
»Was … was ist passiert?« Gretje zog das Umschlagtuch enger um sich, rang die Hände. »Habt ihr etwas angestellt?«
Hermann antwortete nicht. Wortlos ging er an allen vorbei in die Küche, öffnete die Tür zum Hof, überquerte diesen und ging in das Nachbarhaus zu seiner Frau.
Heinrich Janßen, Hermanns Freund, sah die Familie mit großen Augen an. »Ich muss nach Hause, zu meiner Familie. Ich muss packen und es erklären.«
»Was musst du erklären, minn Zoon?«, wollte Isaak wissen. »Was ist denn geschehen?«
»Wir haben viele Brüder in Düsseldorf getroffen und gute Gespräche geführt. Das Glaubensfeuer hat uns entflammt, und voller Enthusiasmus sind wir zurückgekehrt. Auf dem Weg … wir begegneten dem Droste. Der Droste von Kinsky, er kam uns entgegen. Er …« Heinrich schüttelte sich entsetzt.
»Nun komm erstmal, Jong. Nimm einen Schluck Wein und beruhige dich. Habt ihr jemanden etwas angetan?«, fragte Isaak.
Margaretha war ihren Eltern in die Diele gefolgt. Nun eilte sie in die Küche und holte Wein und Brot. Sie führten Heinrich in die Stube, Margaretha legte Holz in den Kamin. Schon bald flackerte das Feuer auf. Heinrich umklammerte den Becher, immer noch war er bleich.
»Wir sind dem Droste begegnet. Wir haben ihn gegrüßt mit aller Höflichkeit, doch den Hut haben wir nicht gezogen. Es gibt keine Macht außer Gott. Wir sind Gottes Diener, aber nicht die irgendeiner Staatsform. Wir zollen den weltlichen Herrschern Respekt, doch den Hut lüpfen wir nur vor Gott. Nur Gott schulden wir den wahrhaftigen Gehorsam.«
»Das sieht der Droste sicher anders«, sagte Isaak leise.
»Ja, durchaus. Er hat uns inhaftieren lassen und dann verurteilt und gebannt. Wir müssen die Stadt verlassen. Sofort.« Heinrich sprang auf. »Ich muss nach Hause, ich muss zu meiner Familie.«
»Ich begleite dich, Heinrich«, sagte Abraham ernst. »Ihrhabt richtig gehandelt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihr zurückkehren dürft.«
Der Abschied war bitter und zu schnell. Kaum eine Stunde blieb den beiden, um ihre Sachen zu packen und zu gehen. Esther weinte haltlos, sie war kaum zu trösten. Margaretha verbrachte die Nacht bei ihr, hielt die Schwägerin fest. Am nächsten Morgen saß die Familie stumm und fassungslos am Küchentisch.
»Ich reite zum Droste und bitte ihn, das Urteil aufzuheben«, sagte Isaak. »Es kann doch nicht sein, dass zwei junge Männer wegen ihrer Überzeugung, ihres Glaubens der Stadt verwiesen werden. Unser Glauben ist frei, das wurde uns gewährt.«
Doch all seine Bemühungen und die der Gemeindeältesten fruchteten nicht. Einige Wochen waren sie ohne Mitteilung von den beiden Männern, wussten nicht, wohin es sie verschlagen hatte. Isaak nahm dies sichtbar mit. Er sank in sich zusammen, wirkte klein und verhuscht, schlief schlecht und hustete viel. Gretje machte sich große Sorgen um ihn, kochte Aufgüsse und machte Breiumschläge. Seine düstere Stimmung hielt jedoch an. Auch Esther litt unter der Situation und der Ungewissheit. Gerade erst hatte sie ihre Unbekümmertheit und Unbeschwertheit wiedererlangt, und nun kam der große Rückschlag. Endlich erhielten sie einen Brief: Hermann und Heinrich hatten sich bis nach Amsterdam durchgeschlagen. Sie waren bei Freunden untergekommen.
Mehrfach fuhren Isaak und Abraham nach Moers zum Droste von Kinsky. Doch all ihr Flehen und Bitten brachte nichts. Im Gegenteil, beim letzten Mal setzte der Droste sie unsanft vor die Tür und drohte ihnen, die gesamte Familie aus der Stadt zu jagen. Auch das Klima in der Stadt hatte sich
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