Die Heilerin
beeilen.« Sie zog ihre Tochter mit sich, hakte sich bei ihr unter. »Angst ist manchmal gesund und alles andere als verkehrt. Wir müssen tatsächlich aufpassen, denn wir sind nicht wohlgelitten in der Stadt. Aber die Lebensfreude sollte es dir nicht nehmen. Denk an Eva, sie war so froh und glücklich in ihrem kurzen Leben.«
»Und wie ist sie gestorben, Mutter? Gequält und misshandelt wurde sie. Sie ist unter Schmerzen und voller Angst gestorben.«
Gretje blieb abrupt stehen und schluchzte auf. »Ja, das ist sie. Mein Hartje, mein Sonnenschein.« Dann fasste sie sich wieder, rieb sich die Tränen in die Wangen. »Nun ist sie bei Gott. Kein Leid kann ihr mehr zugefügt werden.«
Sie hatten den Friedhof erreicht, die Gräber waren zugeschneit, und fast hätten sie das schlichte Kreuz mit Evas Namen nicht gefunden. Doch dann entdeckten sie das kleine Grab. Gemeinsam schaufelten sie das Kreuz frei. Gretje legte behutsam das Spielzeug auf das Grab. »Möge er dich beschützen, so wie Jonkie auf unsere Margaretha aufpasst.«
Sie beteten still, machten sich dann auf den Heimweg. In der Nähe des Stadttores ergriff Gretje wieder das Wort.
»Du hast Angst. Das verstehe ich, aber es ändert nichts an der Situation. Du kannst Angst haben und dich verkriechen, dich verstecken. Du kannst aber auch den Kopf heben und so leben, wie du es möchtest. Der Tod kommt ganz gewiss, und mancher Pein kann man nicht entgehen. Das siehst du doch an Esther. Sie hatte Angst vor der Geburt. Die hat sie immer noch, aber jetzt lässt sie sie zu, erwartet das Kommende. Ihrem Schicksal kann sie ebenso wenig entgehen wie du.«
»Kann man das vergleichen, Moedertje? Sie bekommt ein Kind. Sie hat Angst vor der Geburt und dem Wochenbett. Wie hätte sie dem entgehen können? Mich machen andere Menschen bange. Ich kann einfach zu Hause bleiben, da kann mich keiner erwischen und quälen.«
Gretje lachte leise. »Esther hätte nicht heiraten brauchen. Ein schlichtes Nein und das Schicksal wäre ihr entgangen.«
Margaretha sah sie erstaunt an. »So habe ich das noch nie gesehen.«
»Ja, aber so ist das. Sobald du heiratest, nimmst du das Wagnis einer Schwangerschaft auf dich. Die Angst vor der Geburt und dem Kindbett hatte sie fest ergriffen.« Gretje lachte leise. »Was genau hast du ihr gesagt, um sie auf den Boden der Tatsachen zu holen, Meisje?«
Margaretha senkte den Kopf, das Blut schoss ihr in die Wangen. »Wie bitte?«
»Nun komm«, sagte Gretje belustigt. »Esther kam zu mir, ein oder zwei Tage nach … nach … du weißt schon, nach dem Abend. Sie bat um eine Aufgabe. Ich fragte sie nach ihren Ängsten. Sie zuckte nur mit den Schultern und sagte, du habest ihr den rechten Weg gezeigt.«
»Ich habe ihr nur … nur gesagt, dass sie den Tod nicht zu fürchten braucht. Dass sie stark sei und wir sie unterstützen würden. Na ja, in etwa so etwas habe ich gesagt«, murmelte Margaretha.
»So, so. Nun gut, was auch immer du ihr genau gesagt hast, es hat seine Wirkung nicht verfehlt. Sie beschäftigt sich wieder, hilft im Haushalt, kümmert sich. Das lenkt sie ab. All diese Stunden alleine in ihrer Kammer, das war ungesund, das war falsch und hat alles nur schlimmer gemacht. Isaak hätte nie zugelassen, dass ich so sehr in Selbstmitleid versinke. Aber Hermann ist da anders. Wenn er könnte, würde er seine Frau auf Händen tragen. Nicht immer ist das gut, auch wenn es von Liebe zeugt.«
Sie hatten die Stadt erreicht, eilten durch die Gassen. Wind kam auf, Gretje sah besorgt nach oben. »Ich hoffe, es schneit nicht schon wieder. Wir haben nicht mehr viele Tage, um die Wäsche zu machen. Bald ist Weihnachten.«
Sie kamen bei ihrem Haus an, schlossen die Tür auf. Der Duft von Lauge drang ihnen entgegen. In der Waschküchestanden Rebecca und Esther und wuschen die Laken in dem großen Waschbottich aus. Gretje schälte sich eilig aus ihrem Mantel.
»Esther, Meisje, das ist keine Tätigkeit mehr für dich. Geh in die Küche und setz das Essen auf. Es müsste auch noch Fleischbrühe da sein, die kannst du warm machen.«
»Es geht doch«, sagte Esther und lachte. »Ich fühle mich gut. Wir wollten nicht mehr länger warten.«
»Das war gut gedacht, aber nun übernehme ich die Arbeit. Rebecca und Margret können die Laken auswaschen und wringen. Niemand von uns wird Zeit haben, das Essen zu kochen. Gleich kommen die hungrigen Männer.«
Margaretha holte frisches, aber eisiges Wasser aus dem Brunnen. Sie spülten die seifigen Betttücher
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