Die Heilerin
Tür? Deiner Frau gehtes gut. Du hast einen gesunden Sohn.« Sie trat zurück und ließ ihn an das Bett.
Hermann kniete sich hin. »Liefje, du Ärmste. Ich habe nicht gewusst, dass es so schrecklich ist.«
Esther lächelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Was ist schrecklich?« Sie sah das Kind an, dann ihren Mann. »Ich finde ihn wunderschön.«
»Ja, das ist er. Wunderschön. Ich meinte die Qual der Geburt, die du aushalten musstest«, murmelte er und senkte den Kopf.
»Ich hatte es mir viel schlimmer vorgestellt.« Esther seufzte beglückt auf und drückte den Säugling an sich. Das Kind schmatzte leise. »Deine Mutter und deine Schwester waren eine große Hilfe. Es war gar nicht so schmerzhaft, wie ich befürchtet hatte.«
»Aber du hast geschrien …«
»Ja, weil ich nicht anders konnte. Es war wie eine mächtige Kraft, die in mir steckte. Ich wusste nicht, wohin damit. Deine Mutter hat es mir aber gezeigt. Sie war wunderbar.«
»Komm«, sagte Gretje leise und führte Margaretha in den Flur, dann schloss sie die Tür. »Wir lassen die beiden alleine.«
Kapitel 19
An diesem Tag noch holte Isaak die alte Wiege vom Dachboden. Zusammen mit Hermann säuberte er das Bettchen und besserte es aus. Mit Wehmut betrachtete Gretje die Wiege. Eva hatte zuletzt darin geschlafen. Gegen Abend brachten sie das kleine Bett, ausgebessert und mit neuen Decken versehen, in Margarethas Zimmer. Isaak schlug Hermann stolz auf die Schulter.
»Mein erster Enkel, dein Sohn, was für ein wunderschönes Kind! Das habt ihr beide gut gemacht, ich bin stolz auf euch.«
Er nickte Esther zu, ohne sie wirklich angesehen zu haben. Eine Wöchnerin war nichts für Männeraugen, so befand er, als er den Branntwein aus dem Keller holte, um auf das Kind anzustoßen.
Margaretha überließ Esther für die erste Zeit des Wochenbetts die Kammer und zog zu Rebecca. Zuerst war es für die beiden ungewohnt, ein Zimmer zu teilen, doch dann lagen sie oft stundenlang kichernd und erzählend im Bett.
Zum Christfest kam Esther das erste Mal wieder nach unten. Stolz trug Hermann seinen Sohn. Sie hatten ihn Samuel Isaak genannt, und die ganze Familie liebte ihn jetzt schon.
Es gab Schinken in Honigkruste, Gänsepastete, Schmalz und Brot. Die kleinen Äpfel aus dem Wallgarten, die auf den Fensterbänken nachreiften, waren so süß und saftig wie der Sommer. In diesem Jahr war die Ernte gut ausgefallen und die Vorratskammer voll. Sie hatten Obst im Ofen gedörrt oder in der Sonne getrocknet, in Öl oder Alkohol eingelegt, Kompott gekocht. Gretje wusste, wie wichtig dies in den dunklen Monaten des Winters war, wenn es kaum frische Lebensmittel gab. Nur gepökeltes oder geräuchertes Fleisch, Getreidebrei und Brot waren auf Dauer zu wenig. Nicht jeder in der Stadt hatte einen Wallgarten, und nur wenige konnten sich Obst vom Bauern leisten. Viele Familien hungerten oder ernährten sich mangelhaft. Obwohl in diesem Winter noch keine Seuche aufgetreten war, fürchteten sich alle davor.
Schnell vergingen die nächsten Wochen. Das Weihnachtsfest und die Tage zwischen den Jahren verbrachten sie geruhsam. Auch dieses Jahr ging niemand von ihnen mit dem Brummtopf um die Stadt. Die Feindschaft zwischen den Glaubensgemeinschaften schien zu wachsen.
Deshalb schloss sich die mennonitische Gemeinde noch enger zusammen und unterstützte die Armen und Ärmsten so gut sie konnte. Doch es gab auch Reibereien innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Nicht nur die op den Graeffs hatten sich mit der stillen Andacht der Quäker beschäftigt und wolltenihren Glauben auf diese Weise ausüben, andere Familien hatten sich dem angeschlossen. Nach vielen langen Besprechungen gestand man ihnen die versunkene Andacht zu. Nach der Verslesung gingen sie in den Vorraum und versenkten sich dort stumm ins Gebet. Nicht jeder sah das mit Wohlgefallen, doch es herrschte kein offener Streit. Sie versuchten, ihrem Glauben gerecht zu werden und Toleranz zu üben. Den Älteren fiel dies sichtlich schwerer als den Jungen, und doch bemühten sich alle um Verständnis füreinander.
Hermann, glücklich über die Geburt des gesunden Kindes, vertiefte sich immer mehr in den Glauben. Er, Abraham und Heinrich Janßen, ein guter Freund der beiden, fuhren mehrfach zu Glaubensbrüdern nach Duisburg. Anfang Februar fand eine große Versammlung der Gemeinschaft der Freunde, wie sich die Quäker auch nannten, in Düsseldorf statt. Daran wollten die drei jungen Männer um jeden Preis teilnehmen. Doch am Tag vor
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