Die Heilerin
geleitet. Esther kochte einen großen Topf kräftiger Suppe, bereitete Pastetenteig zu. Am nächsten Tag würden viele Gemeindemitglieder kommen, um ihr Beileid auszusprechen. Catharina nahm die Situation mit, sie ging früh schlafen. Esther setzte sich, nachdem sie mit Rebecca alles vorbereitet hatte, zu der trauernden Familie in die Stube.
»Euer Vater war ein ganz besonderer Mensch«, sagte sie leise. »Ich habe ihn sehr gemocht. Am Tag nach unserer Hochzeit nahm er mich beiseite. Ich war damals sehr verschüchtert,wusste gar nicht, wie ich mit euch umgehen sollte.« Sie schluckte, schaute nicht auf. »Er sagte zu mir: Wir sind Weber, Meisje. Bei uns geht es immer drunter und drüber – einen Faden hoch, einen runter, Schiffchen durch. Und beim nächsten Mal andersherum. So sollte ich das auch sehen. Eine Goldwaage, sagte er, haben wir nicht, also such sie auch nicht. Er schlug mir recht kräftig auf die Schulter und umarmte mich dann herzlich. Er hatte recht. Ihr seid so, und ich bin froh, Teil dieser Familie zu sein.«
Gretje stand auf und nahm Esther in den Arm, sie schluchzte, das erste Mal in dieser Nacht. »Das hast du so schön gesagt, Meisje. So schön und so wahr. So war Isaak. Er hatte viel Herz.«
Jeder erinnerte sich an etwas Besonderes, was Isaak gesagt oder getan hatte. Sie teilten diese Erinnerungen leise und bedächtig. Die Nacht verging, der Morgen graute. Rebecca bereitete das Frühmahl zu. Müde, voller Trauer, aber ohne Verzweiflung nahmen sie die Mahlzeit ein. Im Laufe des Vormittags kamen Freunde und Bekannte, um Abschied von Isaak zu nehmen.
Margaretha wunderte sich, wie gefasst Gretje alles über sich ergehen ließ. Nur manchmal wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Es war schon spät am Abend, als Hermann Gretje zu Bett schickte.
»Du hast seit gestern nicht geschlafen, Moedertje. Geh und ruh dich aus. Morgen ist die Beerdigung, da wirst du alle Kräfte brauchen.«
»Ihr habt auch alle nicht geschlafen.« Gretje schüttelte den Kopf.
»Das ist richtig, und deshalb werden wir uns bei der Nachtwache abwechseln. Ich übernehme den ersten Teil, dann löst mich Abraham ab. Schließlich wird Dirck die Wache übernehmen. Ihr Frauen solltet euch jedoch ausruhen. Morgen werden viele Menschen kommen, noch mehr als heute. Ihrwerdet alle Hände voll zu tun haben.« Sein Ton duldete keinen Widerspruch. Er nahm seine Mutter in den Arm, drückte sie an sich. Gretje fügte sich. Gemeinsam mit Margaretha ging sie nach oben. Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen und schaute zögernd zu ihrem Schlafzimmer. Margaretha bemerkte ihr Stocken.
»Moedertje«, sagte sie leise. »Magst du bei mir schlafen? Ich habe Angst, die Nacht alleine zu verbringen.«
Gretje sah sie kurz an, senkte dann den Kopf. »Du musst keine Angst haben.« Sie schluckte hart. »Aber gerne schlafe ich heute Nacht bei dir. Mir graust es vor dem leeren Bett. Danke, Hartje.«
Als sie im Bett lagen, schlich sich der Kater in die Kammer und drängte sich zwischen Mutter und Tochter. Er drehte sich ein paar Mal im Kreis, ließ sich dann seufzend nieder und schnurrte laut.
Gretje lachte leise. »Der Kater mag dich wirklich«, sagte sie und schluchzte dann auf. »O Gott. Wie soll das alles werden? Ohne Isaak? Ohne meinen Mann?«
Margaretha drehte sich zu ihr um. »O Moedertje …«
»Ach Margret, ich wusste es, wusste es doch. Und er wusste es auch. Sein Leben ging zu Ende. Er war schwach und krank und fühlte sich schon lange nicht mehr wohl. Das Gefühl, ein alter Mann zu sein, der nichts mehr zum Lebensunterhalt der Familie beitragen kann, war schier unerträglich für ihn.« Sie biss sich auf die Lippe. »Isaak wusste, dass er sterben würde, er ist friedlich und ohne große Qual im Beisein seiner Familie eingeschlafen. Das macht es für mich leicht, ihn gehen zu lassen. Aber … »Sie stockte, schluckte. »Aber ich war seine Frau, seine Geliebte, seine Freundin. Er wird mir unendlich fehlen.« Sie drehte sich um und weinte in das Kissen. Margaretha zögerte kurz, dann legte sie ihren Arm um die Mutter.
»Ach, Moedertje«, sagte sie tonlos. »Ich weiß.«
Der nächste Tag zog sich qualvoll in die Länge. Nachbarn, Freunde und Gemeindemitglieder kamen. Isaak wurde in den Sarg gebettet, und sie brachten ihn zum Friedhof außerhalb der Stadt. An diesem Tag nieselte es, alles schien grau und trist zu sein. Lang war der Zug der Trauernden. Der Prediger der Gemeinde fand ergreifende Worte. In Tränen aufgelöst zogen
Weitere Kostenlose Bücher