Die Heilerin
Auf dem Markt sanken die Preise für Lebensmittel, doch auch die Löhne und Handgelder waren gesunken. Den Armen ging es weiterhin schlecht.
Zum Erntedankfest trafen sich die Mennoniten in dem Haus der Selbachs, nahe der Stadtmauer. Auch die Familien kamen, die sich nun zu den Quäkern zählten. Täufer waren siealle, und das verband sie. Zu größeren Übergriffen war es nicht mehr gekommen, trotzdem war die Stimmung in der Stadt schlecht. Die Täufer wurden beschimpft, ihre Ware wurde nicht gekauft, auch die Leistungen der Zimmerleute oder anderer Handwerker wurden nicht in Anspruch genommen.
Nach dem Gottesdienst versammelten sich die Männer in der Scheune und diskutierten lautstark an den langen Tischen. Die Frauen bereiteten die Speisen zu, aber auch in der Küche wurde viel geredet.
Zum ersten Mal, so empfand es Margaretha, gab es Anfeindungen untereinander. Der Ton wurde schärfer, die Bemerkungen wurden bissiger.
Catharina und Esther versuchten zu helfen, soweit sie noch in der Lage waren. Doch die großen Krüge mit Wein und Bier waren zu schwer für sie. So blieben sie in der Küche, unterhielten sich mit anderen jungen Frauen und Müttern. Rebecca und Margaretha und einige andere junge Frauen schenkten aus, trugen Platten mit Fleisch und Brot auf, Schüsseln mit Gemüse und Suppe.
Isaak war zu schwach, um zu dem Gottesdienst zu gehen, sie hatten ihn zu Hause zurücklassen müssen. Nach der Andacht zeigte Gretje Margaretha schnell, wo die vorbereiteten Speisen standen, dann eilte sie zurück nach Hause zu ihrem Mann. Es war das erste Mal, dass Isaak bei einer großen Versammlung nicht dabei war, und es stimmte sie alle traurig.
Irgendwann ging Margaretha in den Hof. Dort wartete Jonkie geduldig. Sie gab dem Hund Fleischreste, hockte sich erschöpft neben das Tier.
»Margret, bist du hier draußen?« Jan hatte die Küchentür einen Spalt geöffnet und schaute in den Hof.
»Ja. Werde ich gebraucht?« Margaretha erhob sich eilig. »Ich habe nur kurz den Hund gefüttert.«
Jan schaute über die Schulter. »Ich glaube kaum, dass du gebraucht wirst. Die Männer sind versorgt, und es sind genügend andere da, die helfen können.« Er drehte sich um, kamkurze Zeit später mit zwei Bechern Dünnbier zurück, reichte einen davon Margaretha. Der Mond war gerade aufgegangen, Fledermäuse flogen in ihrem irrwitzigen Zickzackkurs über den Hof. Margaretha wischte sich über die Stirn. Sie war müde, und durch die heiße und stickige Luft in der Küche hatte sie Kopfschmerzen bekommen. Dankbar nahm sie den Becher, trank einen großen Schluck.
»Heute ist irgendetwas anders als sonst, finde ich«, sagte Margaretha leise. »Die Leute sind angespannter. Oder bilde ich mir das nur ein?«
Jan nickte. »Ich empfinde das auch so. Die Kluft wird größer. Ich fürchte, es wird zu einem Bruch innerhalb der Gemeinde kommen.«
»Aber wieso denn nur? Allen geht es schlechter als noch vor drei Jahren. Vielleicht wird es aber auch wieder besser.«
»Es ist nicht nur die wirtschaftliche Lage, die die Leute nachdenklich macht, es sind auch andere Dinge. Die Reformierten werde keine Ruhe geben. Im Moment halten sie sich zurück, doch du kannst gewiss sein, dass sich das wieder ändert. Die Quäker sind ihnen ein Dorn im Auge, und sie wollen sie vertreiben. Und viele unserer Glaubensbrüder denken ähnlich.«
Erschrocken sah Margaretha ihn an. »Aber bisher ist doch die Gemeinschaft der Freunde in der Gemeinde willkommen gewesen. Warum sollte sich das plötzlich ändern? Meine Brüder sind doch immer noch dieselben Menschen, die sie vor drei Jahren waren.«
»Nein, das sind sie nicht. Sie sind überzeugt von ihrem Glauben. So sehr, dass sie sich dem Stadtrat kaum noch beugen wollen. Und viele aus der Gemeinde haben Angst, dass dieses Verhalten auf sie zurückfällt und sie Nachteile dadurch haben.«
»Das ist doch Unfug.«
Jan schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich kann das schon verstehen. Die Mennoniten werden geduldet, wenn auch nichtgeliebt. Jetzt trennt sich eine Gruppe ab, hat noch andere Ansichten, beschert uns noch mehr Ablehnung. Mijnheer Selbach hat das ganz treffend formuliert, schon in der Bibel steht: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.‹ Deine Brüder sehen das aber nicht ein.«
Margaretha seufzte. »Ihr Glaube ist ernst und fest. Sie wollen für niemanden Nachteile, sie wollen nur ihren Glauben leben.«
»Das weiß ich schon, aber die anderen sehen das nicht. Ich hoffe nur, dass es nicht zum offenen
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